Zweites Bild  ∙  Frustration der Propaganda

Ohnmacht des Bewußtseins. Nackt. Schwarz. Kein Horizont. Der Cortex ideologicus schräg angeschnitten. Graue, verkraterte, von Asche überzogene Oberfläche. Verstopfte Windungen. Zugeschüttete Gänge. Eingefallene Höhlungen. Alle Gegenstände bestehen aus Wachs. Die Figuren sehen halb aus wie Menschen, halb wie Raupen oder Maden. Sie sondern einen käsigen Schleim ab, in dem sie quälend langsam herumkriechen.

Propaganda ist Über-Zeugungsarbeit. Zunächst wird das passende Über-Zeugungswerkzeug gesucht.

Der mürrische Funze sucht es in seinem Schreibtisch und schneidet dabei finstere Gesichter. Die Sekretärin, gutmütig lächelnd, sieht in den verstreuten Papieren nach ihm. Der Versager kriecht, unaufhörlich von ihm redend, die Wände entlang. Das Haustier räumt ständig etwas hinter ihm her. Das heitere Kleinkind versucht, es an sich zu finden. Während der Verheizte lustlos im staubigen Untergrund danach herumstochert. Und die Prostituierte, der es ein Dorn im Auge ist, behindert jedermanns Suche.

Vergeblichkeit steigert die Unlust. Die Wechselreden werden giftiger, die Kontroversen gereizter. Die Sekretärin legt sich mit dem Verheizten an. Dieser erteilt dem Kleinkind eine Abfuhr. Der Funze greift den Versager an. Die Prostituierte widerspricht dem Funzen. Das Kleinkind verbündet sich mit dem Haustier. Aber das entscheidende ideologische Argument für das Werkzeug der Überzeugung, seine Unumstößlichkeit, kann nicht erbracht werden. Da findet der Versager ein zartes, aber eisernes Stäbchen.

Der Funze untersucht das Stäbchen, bezweifelt verärgert seinen Nutzen und fordert ingrimmig von der Prostituierten eine Umarmung. Die Sekretärin nimmt es in die Hand, drückt es, haucht es an, spielt damit. Der Verheizte hält es sich vor, und betrachtet mit unaussprechlicher Freude, wie das Stäbchen wächst. Das Haustier herzt den Verheizten und drückt ihn mit der Innigkeit einer Braut an sich. Der Versager zieht die Sekretärin mit heimlichen Worten hinter sich her. Alle richten sich nach dem zarten Stäbchen aus und lassen sich überzeugen. Nur das Kleinkind bleibt einsam zurück. Ihm glühen die Wangen und es vergießt heiße Tränen, weil das Stäbchen sich nach ihm nicht richten will.

Alle geraten außer sich vor Unwillen. Viele Schmähungen sind zu hören. Unter den verschiedensten Bedenken zieht sich einer nach dem anderen zurück. Doch die Übereinstimmung der Gemeinsamkeit muß wieder hergestellt werden. Ein Entschluß wird gefasst.

Während das Haustier und der Versager in voller Tätigkeit die Verwirklichung dieses Entschlusses vorbereiten, und der Verheizte sich mit der Prostituierten berät, erläutert die Sekretärin dem Schreiber den Entschluß. Der Schreiber beginnt sogleich einen Plan zu entwerfen und liest umständlich aus einer Chronik den Zweck der Reise vor.

Unter der lebhaftesten Anteilnahme aller Betroffenen folgen die Sekretärin und der Verheizte dem eisernen Stab in die Richtung, in die er weist. Es ist Nacht. Der Mond steht hoch am Himmel.

Dramaturgie  ∙  Zum zweiten Bild

Wissenschaft ist unter den Bedingungen der Ideologie bloße Propaganda. Allerdings im Zustand permanenter Frustration, die durch das spiral verlaufende Aufeinandereinwirken der Größen Arbeit, Natur, Weisheit, Historie, Phantasie, Liebe und Tod in einem Bewußtsein entsteht. Vorausgesetzt, die Errichtung dieses Zustandes findet in der raumleeren Oberflächlichkeit des Alltäglichen statt. Durch Propaganda wird Phantasie zu Initiative, Liebe zu Solidarität, Arbeit zu Produktivität, Natur zu Notwendigkeit, Weisheit zu Parteilichkeit, Historie zu Gesetzmäßigkeit und Tod zu Ordnung.

Die Spiraligkeit des Verlaufes der Frustration ist dreiphasig, nämlich von außen nach innen, Umpolung auf dem Punkt, und von innen wieder nach außen. Diese drei Phasen können beschrieben werden als die sich errichtende Spannung zwischen „etwas müssen“ und es „nicht können“; als die umkippenden Spannung zwischen „nicht können“ und „können“; und als die einstürzende oder abbauende Spannung zwischen „etwas können“ und „es nicht mehr wollen“. Speziell für den diesmaligen Zweck sollen folgende Bezeichnungen verwendet werden: Aufbauschung eines Motivs, Vertauschung eines Begriffes, Verschleiß einer Überzeugung.

Notiz zur Propaganda

Im Gegensatz zur Wissenschaft, die man als Libido zur Erkenntnis fassen könnte, ist Propaganda eine Art ideologischer Fickarbeit, eine Masturbation der Phrase. In der raumleeren Oberflächlichkeit des Alltäglichen wickelt sich aus Argumenten, die aus den Bereichen des Phantastischen wie des Vernünftigen, des Historischen wie des Natürlichen, der Liebe, der Arbeit, dem Tod kommen können, die Spirale eines nichtigen Enthusiasmus auf und ab und verkehrt sich in ihrem Sinn. Man könnte Propaganda auch als einen Vorgang der Motivation sehen, freilich einer oberflächlichen, wo die Zutreffendheit eines Begriffes immer mehr durch Unzutreffendheit ersetzt wird, dieser Mangel aber durch Enthusiasmus, freilich wieder oberflächlichen, ausgeglichen wird, bis der Begriff sich selbst als Motiv setzt und der Vorgang von neuem beginnt.

Dieser Verlauf, vom Nichts zum Punkt der Verkehrung und wieder zum Nichts zurück, als oberflächlich-nichtiger Enthusiasmus erzeugt Frust und Überdruß. Während unter anderen Umständen Wissenschaft Befriedigung in Form der Erkenntnis ermöglicht, bringt unter ideologisch-traumatischen Umständen die Propaganda statt Erkenntnis nur erkenntnislose, nichtige, sich verlaufende, blinde Überzeugung hervor, die nicht befriedigt, sondern frustriert, und von der man vor lauter Überdruß nichts mehr wissen will.

Notiz zur spiralen Anordnung

Das Lustobjekt der Propaganda, und also Ursache und Gegenstand ihrer permanenten Frustration ist, sofern diese als ideologische Fickarbeit gefasst war, der immersteife Schwanz (S-Ideologie), austauschbar mit seinem femininen Gegenteil (M-Ideologie), und der Zusammenstimmung von beiden als dem Orgasmus der Überzeugung (O-Ideologie). Holt man das aus der Metaphorik zurück, werden daraus die alles begründende Phrase oder das jedesmal passende Argument. Wenn die Phrasen ein Argument ergeben oder umgekehrt, aus diesem sich jene ableiten lassen, und also beide zusammenstimmen, hat man propagandistisch das, was man sexuell Orgasmus nennt. Der Orgasmus der Überzeugung ist also nichts anderes als die Einbildung und das Gefühl, für einen Moment einer Meinung zu sein.

Die Spiraligkeit von außen nach innen für die erste Phase ergibt sich genau aus der Hinführung der sieben einzelnen propagandistischen Zielsetzungen der sieben verschiedenen Figuren auf dem Wege der einzelnen Paarungen, bis hin zu dem einheitlichen Argument. Der treibende Motor, daß sich die einzelnen Figuren ideologisch-propagandistisch paaren, auseinander gehen, die Partner wechseln, sich in anderer Zusammensetzung wieder paaren, ist die immer mehr sich aufbauschende Motivation, endlich zu dem erstrebten und ersehnten einheitlichen Argument zu gelangen. Am Schluß der Spirale einwärts haben wir ein jeder Motivation standhaltendes Argument, vertreten durch eine in sich dreifach gepaarte Gruppe... Allerdings trägt diese Gruppe in sich längst den Keim zur zweiten Phase, nämlich der Umpolung von „nicht können“ zu „können“, in der Gestalt des einheitlichen Kollektivs und der propagandistischen Verkehrung des Begriffs von der Schwanzideologie in seine weibliche Antithese, in der Gestalt der drei Paarungen einerseits, und der kleinen Fabel andererseits.

Die Spiraligkeit der dritten Phase verläuft dann wieder fast umgedreht. Die propagandistischen Ziele gehen wieder auseinander. Argument und Motivation zerfallen. Das Aufgebauschte der Motivation verschleißt, und mit ihm der Enthusiasmus. Die propagandistische Vorstellung von dem einheitlichen Orgasmus der Überzeugung ist etwas, dem schließlich nur noch zwei Figuren nachgehen Es sind Eros und Ginnistan. Die anderen verlaufen sich...

Spiraligkeit, dies zusammenfassend, ergibt sich als gedankliche Anordnung des Stoffes, wenn man das Problem der Frustration auffasst als Beziehungsproblem von sieben Figuren eines Kollektivs.

Aufbauschung des Motivs

Das ist der eigentliche, alltäglich neu sich vollziehende Vorgang, daß man sich einreden muß, es hätte noch Sinn, weiterzumachen... eine Art künstlich-gewollt herbeigeführter gegenseitiger ideologischer „Anwichserei“, ein propagandistisches Aufgeilen, um an den alten Quark ein erneutes Mal erneuert zu glauben... Die so verschiedenen Argumente, mit denen man sich an das immer eine Motiv anklammert, werden „ausgepackt“ und aneinander gerieben, bis wieder die einheitliche Überzeugung erreicht worden ist. Man ist anfangs unsäglich träg, faul, müde, kraftlos, lustlos, antriebsarm. Es ekelt einen alles an. Das aber ist bereits die erste Regung. Dann murkst man doch wieder los. Man schnauzt sich an, meckert herum, und ist sich selbst nicht grün. Man verschafft sich öde Reizung, aus künstlich gespielter Wut, Haß, Zorn. Mühsam geht es voran. Die einzelnen Argumente müssen die in ihnen hausenden Hemmungen überwinden. Das ist quälend. Nur langsam kommt man dem Umschaltpunkt näher...

Vertauschung des Begriffs

Auf propagandistischem Weg zu einer ideologischen Überzeugung zu gelangen, ist das einheitliche Ziel aller sieben Figuren. Die Argumente, mit denen jede ihr Ziel erreichen wollte, haben sich dabei langsam zu einer Art Konsens verdichtet. Dieser Konsens ist altbekannt. Er stellt sich jedesmal ein. Es bleibt einem nichts anderes übrig. Und es ist der Punkt des Umschlagens des Begriffs auf der Zustandsspirale des alltäglichen propagandistischen Bewußtseins, welches in seiner Überzeugung frustriert wird. Man könnte auch sagen, die Richtung der Entwicklung wird um einhundertundachtzig Grad verstaucht oder umgebogen und verläuft nun rückwärts...

War die Aufbauschung des Motivs der Weg von „müssen“ zu „nicht können“, so soll die Vertauschung des Begriffs der Weg sein zwischen „etwas nicht können“ und „etwas können“. Die Begriffsvertauschung wirkt dabei wie eine Änderung des Richtungsvorzeichens von positiv auf negativ, oder des Handlungsvorzeichens von aktiv zu passiv. Man könnte auch sagen, die Reise geht vom ideologischen Materialismus zum ideologischen Idealismus.

Jedenfalls wird ein Zustand erreicht, wo egal ist, was man macht, weil allein wichtig wird, daß man überhaupt etwas macht. Der Druck, die Kraft, die ideologische Wichse, die im Kopf voll schwankt, will raus. Etwas nicht zu können, wird immer tugendhafter. Man kann sich nämlich nicht mehr zurückhalten. Etwas zu können, wird immer mehr eine Qual. Weil man es bald nicht mehr länger aushält. Man kann es, aber wenn man es nicht bald kann ...dann...

Insoweit ist der Umschlagpunkt darstellbar durch ein Zeremoniell, welches das ganze unsäglich in die Länge zieht und aufhält. Das Zeremoniell vollführen die drei Paare. Zeremonienmeister ist die kleine Fabel. Die Frustration dieser zweiten Phase entsteht aus dem nicht befriedigenden Umschlag von Begriff in Gegenbegriff. Sie ist Grund für die dritte Phase.

Verschleiß der Überzeugung

Das ist die Bewegung des Verlaufens ins Nichts. Es geht eine sich nach auswärts drehende Spirale entlang und hinab. Die mühsame Aufhellung einer Sache wird durch Zweifel, allerdings nicht sehr kraftvoll konstruktive, sondern durch pappig destruktive, wider verfinstert. Sicherheit und Überzeugung werden verschlissen. Man hat immer weniger recht, irrt sich immer mehr, verfällt dem Fatalismus. Da aber alles so sinnlos egal wird, versteht man plötzlich auch von allem etwas, und kann gefahrlos, weil verpflichtungslos über alles reden. Jede der Figuren taucht unter in ihren privat vermuddelten Zeitvertreib und will von niemand sonst nichts wissen. Nur mit sich selbst und seinem Mief will man beschäftigt sein. Das „können“ ändert sich immer mehr in das konjunktive „könnte“, aber „nicht mehr wollen“. Und gerade dieser, scheinbar aller Verantwortung enthebende Zustand macht so einen Eindruck von falschem „laissez faire“, dem die Begründung noch die Krone aufsetzt, daß alles keinen Sinn habe, außer ...wenn ...ja...dann... Diese letzte Unmöglichkeit, welche einen gegen alle Verantwortung absichert, heißt hier „Orgasmusideologie“. Dieser folgen die beiden Aussteiger Eros und Ginnistan. Die anderen Figuren haben längst keine Kraft mehr dazu. Nur ihre Ausreden...

Alles in allem wurde erst etwas herbeigeredet, dann wurde hin und her geredet, und schließlich wurde es wieder zerredet.