Viertes Bild  ∙  Kollaps des Schemas

Ein ungeheurer, betäubender Schlag. Stumpf. Trocken. Licht und Raum, wie von unvorstellbarer Gewalt zermalmt. Einer unheimlichen Dunkelheit erdrückende Schwärze, schwer, dicht, ausdehnungslos, lastet auf den erstarrten Gestalten. Es sind furchtbar strahlende Schatten, die ein schwarzbrennendes Licht werfen. Finstere Phantome eines staatlichen Unterbewußtseins, die aufglühen und verlöschen und mit tonloser Stimme sprechen.

Zuerst das amputierte Orakel. Von seinem Postument herab murmelt es unvernehmlich vor sich hin. Von den traurigen Veränderungen, die vorgegangen sind. Von der gefährlichen Verschwörung des Funzen und dessen feindseligem Gemüt. Von der Gelegenheit, die er gefunden hat, sich des Regiments zu bemächtigen und sein Joch abzuschütteln. Die Sekretärin hat er in eiserne Bande gelegt. Den Versager bei Wasser und Brot ebenfalls hingesetzt. Gerade versucht er, die Prostituierte gefangen zu nehmen. Auch an dem Kleinkind will er sich rächen. Aber es ist nicht zu finden.

Das Kleinkind ist auf der Flucht. Sowie es in diese Lichtleere gerät, wird es ebenfalls zur Dunkelgestalt, behält aber sein Volumen und den unverwechselbaren Klang seiner Stimme. Das amputierte Orakel verwehrt ihm den Einlaß, kann diesem Klang aber nicht widerstehen. Das Kleinkind stellt dem amputierten Orakel drei Fragen. Nach dem Namen der Utopie, nach dem Sinn der Geschichte, nach dem Ziel der Zeit. Das amputierte Orakel weiß die Fragen nicht zu beantworten und das Kleinkind betritt den Mittelpunkt.

Drei scheußliche Larven tauchen nacheinander auf, hämisch lachend, fürchterlich heulend und entsetzlich krächzend. Der Telegenius der Vergangenheit. Das Feindbild der Gegenwart. Die Ökopsyche der Zukunft. Höhnisch verlangen sie, das Kleinkind möge mit seiner Unschuld die unzähligen offenen Enden der Geschichte zu einem unzerreißbaren Netz von Gesetzmäßigkeiten zusammenknüpfen, damit sich der unsterbliche Vogel darin verfängt.

Das Kleinkind fesselt und verschnürt stattdessen die drei gräßlichen Larven, immer eine mit der anderen, und verknotet alle zusammen zu einem einzigen, unauflösbaren Knäuel.

Da taucht der Funze auf, höhnisch schmunzelnd, weil er das Kleinkind in seiner Gewalt zu haben glaubt. Mit verbissener Wut ergießt er sich in Schimpfreden gegen das Kleinkind und macht Miene, über es herzufallen.

Der Funze hat die Diktatur des Bürokratiats ausgerufen und die Vielseitigkeit durch Einseitigkeit ersetzt. Wo alles schwarz ist, sind alle gleich. Wo nichts sich regt, gibt es keine Veränderung. Das Kleinkind ist für ihn der weiße Fleck der Ohnmacht in seinem Apparat, es kann nur am Leben bleiben, wenn es sich schwärzen läßt oder den Ewigen Genossen findet, mit dem er den Mittelpunkt ausfüllt. Tückisch rümpft der Funze die Nase. Sowie das Kleinkind sich auf die Suche macht und das Finsterreich verläßt, schlägt ein blendend greller Blitz ein und vernichtet dasselbe.

Dramaturgie  ∙  Zum vierten Bild

Der Staat verkommt im ideologischen Trauma zu einem Schema im Zustand des Kollapses. Der Kollaps entsteht dadurch, daß linear, das heißt schematisch, die Größen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Geschichte, Tod und Sinn aufeinander einwirken, unter Bedingungen einer in das weglose Nichts weisenden Perspektive. Dabei ist das Schema des Todes der Stillstand, das Schema der Zeit die Wiederholung, das Schema der Geschichte das Vergessen und das Schema des Sinns die Gleichgültigkeit.

Notiz zum Staat

Man kann ganz einfach behaupten: Die Zeit über, die der Mensch auf der Erde lebt, soll er etwas tun, damit bei seinem Tod, den er sterben und erleben muß, das Ganze einen Sinn gehabt hat. Ein solcher wäre zum Beispiel die Verknüpfung aller vier, hier wirkenden Größen Zeit, Tod, Geschichte und Sinn. Da nun der Mensch zur gleichen Zeit mit anderen Menschen zusammenleben muß, denen diese Aufgabe auch gestellt ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als auch dieses Zusammenleben entsprechend der oben genannten Maßgabe zu organisieren. Eine Form der Organisation kann der Staat sein. Sogar dann, wenn man ideologisch eingeschränkt, diesem Staat unterstellt, daß er die oben genannte Aufgabe nur als Instrument einer bestimmten Menschengruppe, auf Kosten Anderer erfüllt. Die Einen produzieren den Sinn der Anderen.

Unter den Bedingungen eines ideologischen Traumas, im Milieu perspektivlosen Nichts, wird allerdings aus dem Zusammenhang der vier, in Rede stehenden Begriffe ein ganz anderer. Wiederholung wird die einzige Abwechslung, den Stillstand zu rechtfertigen. Das Zusammenleben ist in tödliche Ordnung gebracht. Eine lähmend gleichförmige Abwechslung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft läßt keine Geschichte mehr zu. Schon gar nicht deren subjektive Erfahrung. Nur zeitlose, sinnlose Wiederholung des immer Einen. Zum Beispiel „wir kämpfen, wir siegen, wir übererfüllen“! Und das zur Rechtfertigung, Erklärung und Beschwörung des immer einen perspektivlosen Nichts.

Notiz zum Schema

Der Begriff „Schema des Staates“ meint eine Struktur von Dienstwegen, Befehlsempfängern, Unterstellungsverhältnissen, von Macht, Bürokratie und Funktionen, wie sie die Funktionäre dieses Staates im Kopf haben. Der Staat sind wir, sagen sie, und übertragen dieses Schema der Machtproduktion, Machtkonsumtion, Machtzirkulation und Machtdistribution und seine zentralistische Hierarchie auf jeden Bereich menschlichen Verhaltens.

Notiz zum Kollaps

Der Begriff meint in diesem Zusammenhang, daß das Schema in historischer Wirklichkeit oder wirklicher Geschichtlichkeit sich ständig als unmöglich erweist und ideologisch immer schematischer am Leben gehalten werden muß. Wobei hier der Ausdruck „Leben“ verwendet wird, weil es der falscheste Ausdruck ist.

Notiz zum Bild

Es geht um die Differenzen oder den Widerspruch, den ganz und gar antagonistischen, in einem angeblich davon ganz und gar freien System, zwischen der geschichtlichen Wirklichkeit und der ideologischen Irrealität und Irrationalität. Es ist ein Kampf zwischen der toten Ordnung und der geschichtlichen Wirklichkeit, entlang der Zeitachse Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft. Es ist somit ein Kampf von Dynamik gegen Statik, Dialektik gegen Mechanik und so weiter... Die Fabel, als geschichtliche Wirklichkeit, kann gar nicht anders, als das erstarrte, ständig kollabierende Schema ideologischer Ordnung, in dem sie es mit sich erfüllt, zum diese Erstarrung überwindenden Kollaps zu treiben. Der Schreiber als personifizierte, tote Ordnung treibt das Schema in die andere Konsequenz, indem er die historische Realität daraus verdrängt, und den in anderem Sinn vollendeten Kollaps, nämlich den Tod, als die Vollendung seiner Ordnung anstrebt.

Die Sphinxen als Personen des perspektivlosen Nichts befinden sich am Anfang und, was das gleiche ist, am Ende dieser weglosen Perspektive der Zeit, auf der sich, nach ihrer und des Schreibers Vorstellung, tödlich gleichgültig Schicht um Schicht zu dem schichten, was diese unter der Geschichte glauben zu verstehen.

Wenn Geschichte die Gegenwart als Brennpunkt der Wirklichkeit will, in dem sich die Strahlungen der Vergangenheit und der Zukunft bündeln, dann will der Schreiber -der Tod - einen linearen, dimensionslosen Vorgang des immer engeren Zusammenrückens des perspektivischen Nichts von Anfang und Ende, und ihre Verschmelzung im Stillstand des Sinn- und Zeitlosen.

Auf Grund der ersten drei Bilder, welche Phasen des ideologischen Traumas sind, soll das vierte Bild die Phase des Prozesses vorführen, in der sich ein Schematismus herausbildet, der scheinbar aus dem Trauma herausführt, es aber ebenso wenig vermag, wie die Phasen vorher. Dieses Schema wird im Unterbewußtsein des Traumatikers errichtet, aber es lebt dennoch nicht, taugt nichts und fällt ständig mit seinem eigenen Kollaps zusammen. Es scheitert an Fabels Wirklichkeit... Dafür leiten sich daraus die Phasen der linearen Anordnung des Stoffes ab. Der Kollaps geht mit positivem Vorzeichen (Fabel) und negativem Vorzeichen (Schreiber) am Schema der Zeit entlang. Wirklichkeit ist die Aufhebung der Linearität, also auch dieses Schematismus der Zeit. Wirklichkeit will a1s Zeit nicht die lineare Ausdehnung zwischen zwei Polen des Nichts, sondern einen unbegrenzten Standpunkt an Möglichkeit, also eine Gegenwart, die sich nach allen Räumen hin endliche Bezugspunkte, also Vergangenheit und Zukunft schafft.

Die Umpolung des Bewußtseins, personifiziert dargestellt durch Schreiber und Fabel, beinhaltet die Begründung dieses Schemas des Totenstaates, den Hinauswurf der Geschichte, die sich nicht zur Gesetzmäßigkeit verkümmern lässt, und die Errichtung des hierarchischen Schemas selbst als dem demokratischen Zentralismus des Nichts.

Notiz zur linearen Anordnung

Sie ist, dem Bild entsprechend, schematisch und in zwei Phasen eingeteilt, welche zwei Verfahrensweisen des ideologisch traumatisierten Bewußtseins entsprechen. Die eine Verfahrensweise ist die induktive Negation. Man könnte sie auch pauschale Verdammung, oder die Verneinung im Großen und Ganzen nennen. Sie bezeichnet die aufsteigende, zusammentragende und dabei immer prinzipieller und abstrakter werdende Ablehnung des Schemas durch die Figur der Fabel. Die andere Verfahrensweise ist die deduktive Affirmation oder Bejahung im Besonderen und Einzelnen. Sie meint, gewissermaßen gegenteilig, die immer mehr in Einzelheiten sich verzettelnde Zustimmung zur sinnlos toten Ordnung durch die Figur des Schreibers.

Induktive Negation

Ein Zustand zwanghafter, angstähnlicher Gedankenspielerei mit einer Logik, die wie auf der Flucht ist. Sie bastelt den Gegenstand der Verneinung und die Gründe für die Verneinung immer vollständiger zusammen, nimmt aber doch die Richtung von der Einbildung zu den Tatsachen hin. Sie besitzt durchaus Pathos und großen Ton.

Die Fabel, die aus dem Putsch unter die Putschisten gerät, hat wahnsinnige Angst. Sie tastet sich zitternd durch ihr eigenes Über-Ich, bis sie auf den Schreiber trifft.

Der Schreiber vertreibt Fabel aus ihrem eigenen Trauma, was nicht dieses, sondern sie vernichtet.

Deduktive Affirmation

Der Schreiber hasst die Fabel. Nachdem er an die Macht gelangt ist, verfolgt er sie mit eisiger Wut. Seine Waffen sind dieselben, mit denen er die Diktatur des Bürokratiats errichtet hat. Zynismus, Arroganz, Skrupellosigkeit. Er ist illusionslos in der Härte, magisch-abschreckend durch Kälte und Gefühllosigkeit. Er steigert sich in eine, alle Verschwommenheiten des Lebens ausmerzende Auflösungs- und Vernichtungssucht. Er gerät in die Raserei der Beseitigung. Weißglut packt ihn, der Taumel der Macht. Er ist fanatisch pervers, roh, viehisch, vertiert.