Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0581

januar februar achtzig

saarbrücker landestheater probebühne ella k von achternbusch man müßte das stück so sehen daß ella gegen die verrückte mutter ankämpft frei nach dem satz wenn ein verrückter den anderen verrückten zu beweisen versucht wie verrückt sie sind bzw daß er selbst noch verrückter ist als alle anderen zusammen dann wirkt und wird er immer normaler nur hat diese normalität des verrücktseins etwas gebrochen grauenhaftes und einsehbar unfassliches und dies wird deutlich durch die scheinbar normalste tat auf dem gipfel der während der beweisführung erreichten normalität das ist das gift das ella schluckt dann ist sie groß das ist der moment wo sie verliert und dann ist sie weg und es bleibt die verrückte mutter von anfang an die die gewonnen hat weil sie die verrücktere ist ella kann nur verlieren die mutter als die verrücktere ist die unschlagbare das ist ihre normalität

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0582

januar februar achtzig

ich stelle mir neben meinem hiersein immer gleichzeitig noch mein dortgebliebensein vor und wie ich die arbeit hier dort täte und wie ich dort zu der erkenntnis der feigheit und des versagens kommen müßte weil ich nicht weggegangen bin und der konsequenz die ich dort daraus würde ziehen müssen den selbstmord der dann mir nicht wie hier ist mir hier das leben nehmen wie dort meine arbeit getan zu haben

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0583

januar februar achtzig

mir fällt auf daß ich keinen schriftsteller aus der ddr kenne oder von einem weiß für den dieses schriftstellerdurchschnittsschicksal dortarbeitenweggehenhierarbeiten die existenzielle konzeption einschließt wie bei mir in form theoretischer literatur hinauszuarbeiten die metaforik umzustürzen und als praxis wiederentstehen zu lassen
für die meisten scheint es kein dem dortigen entsprechendes thema zu geben sie schreiben heute diese morgen jene geschichte ohne alle konsequenz geschichtslos und schicksalslos sind sie mediasten daß die flucht aus der ddr keine flucht sondern unmittelbare konsequenz der arbeit ist sieht man bei niemandem nur politische eitelkeit und rederei
das terroristische prinzip beim theorie praxisumschlag die romanform zum erkenntnis und existenzvorgang die umkehrung des abaelardvorgangs sind die dinge die in mir sind
andererseits erkenne ich jede arbeit an unter dem eindruck der arbeitsteilung der toleranz des desinteresses

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0584

januar februar achtzig

ddr kulturpolitik in einem satz mit doppeltem boden
heraus mit der sprache

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0585

januar februar achtzig

es gibt leute die sich sehr schwer tun mit dem weggehen manche schaffen es nicht und bleiben andere gehen und tun sich sehr schwer mit dem hiersein sie wirken wie selbstverschleppte ich habe es mir erst maßlos schwer gemacht dann habe ich es fürchtevoll auszudenken gehabt um hier zu sein und beide verhaltungen die verdrängende wie die affirmierende sind eine so quälerisch wie die andere

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0586

januar februar achtzig

weil ich hier bin um das dort zu beschreiben habe ich mich von der ersten sekunde hier an gegen das vergessen und verdrängen gewehrt ohne mich an das erinnern zu klammern ich habe versucht das dadurch zu erreichen daß ich mir sagte du bist ja eigentlich nur zur arbeit hier daß hier selbst ist für dich nicht von wichtigkeit sollen das andere tun das führte natürlich zum krampf je mehr ich mich auch dem hier gegenüber normal verhalten kann umso mehr löst sich die schutzverkrampfung und um so mehr fällt mir nun das ein woran ich mich erinnern will und es geht mit dem blick von hier aus besser im klartext will man nicht verdrängen was war neigt man dazu das zu verdrängen was ist beides fehler

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0587

januar februar achtzig

über den begriff heimat denke ich erst nach seit ich hier bin aber heimat kann doch kein gefängnisbegriff sein kein behältnisbegriff daheim als dahinein
andererseits begreife ich noch nicht daß das hier deutschland ist

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0588

januar februar achtzig

das endogene die wunde heilt von innen nach außen
die narbe ist äußerlich

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0589

januar februar achtzig

der osten nährt seine hermetik durch aufsaugen von außen
ständiger unterdruck dort

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0590

januar februar achtzig

alle spekulationen wann kA kommt führen mich jedesmal in die agonie der utopie ich habe das gefühl nicht ihre handlungen zu erfahren nicht das was sie tut sondern nur das bewußtsein eine erkenntnis darüber

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0591

januar februar achtzig

die selbstverleugnung ging soweit daß ich in einer unliterarischen gattung nach unliterarischen gesichtspunkten ein unliterarisches produkt herstellte nur im äußersten noch meine handschrift anbrachte das stück eines anderen mit meiner hand für andere abschreiben war die letzte erlaubte arbeit dort

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0592

januar februar achtzig

eine mögliche beginnende lust zur arbeit die vor dem tun zu sein scheint das kunststück heißt hier meine arbeit zu tun statt des gegensatzes hier und mein

das ganze ist gekoppelt mit einem traum von einem christus in verwichsten und verpissten unterhosen ausgeleierten socken angebracht an einer litfaßsäule

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0593

märz achtzig

als ich mich in den ersten westklamotten sah
mußte ich unheimlich feixen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0594

märz achtzig

von da nach da und das ohne links noch rechts zu sein die unsäglichkeiten
zb da lassen sich nicht mehr einfach als die fehler eines falschen oder schlechten sozialismus entziffern das geht längst um mehr und tiefer

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0595

märz achtzig

wo ich herkomme sind verhältnisse die es nicht erforderlich machten auf wiedersehen zu sagen wo ich hinkam scheint es nicht so zu sein daß ich guten tag wünschen muß seit wann schon gehen die deutschen dichter grußlos in ihren vaterländern ein und aus

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0596

achtundzwanzigster mai achtzig

spürbare abnahme des vorurteils gegen alle arten von menschentieren der zoo kann wieder besucht werden andere blicken anders stumpf sind aber schon erbaulich nach dem verschleißenden auswahlprinzip der negation in der ddr

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0597

fünfzehnter juli achtzig

fast bis zur erschütterung die wonne einer landkartenbesichtigung welches land welche namen welche städte gegenden gebirge flüsse da kann ich hin bald mit kA

syberberg hitlerfilm aus deutschland und vorher brinkmann rom blicke sind bisher die zwei sachen die sich für mich hergestellt haben

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0598

achtundzwanzigster juli achtzig

es geht vor in mir was veraenderung zu benennen wäre und ich kann es nicht sagen mit keinem wort weiß es aber wie alles in mir sich umpolt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0599

august achtzig

zwei glas rezina getrunken abends im radio gitarrenmusik der mond kommt zirkel und ich denke an meinen schwanz die akropolis und ficke tränen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0600

august achtzig

eine nacht in diesen tagen mit der erwartungsfroh disziplinierten arbeitsstimmung als vorgeschichte ein totales nachtgewitter schwül schlaflos verdichtet sich zu heiß hervorschießendem angstejakulat ausreise ade kA bleibt hängen ich außer rand und band nichts zu trinken saufe eine halbe flasche eierlikör die im kühlschrank steht auch noch konsum ddr diabolisch selbstmordwild versuche zu lesen ein witz tobe mich in eine ohnmacht bis früh gerade wieder eingeduselt kA anruft mutmachendes orakel das ist der anfang vom ende fazit es jagt mich wenn überhaupt der wahnsinn nur in negativer richtung

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0601

august achtzig

im rundfunk abends die neunte von beethoven dirigiert von karl böhm so hörte ich sie noch nie gleichermassen ohne angst und ohne hoffnung doch nicht jenseits davon diesseits von angst und hoffnung

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0602

august achtzig

hat der herrgott unser bewußtsein nur geschaffen damit wir einsehen wie bewußtlos wir sind beweist das nur daß der liebe gott atheist ist im sinne des schöpferischen bin auch ich ab heute atheist es gibt nämlich eine stufe des schöpferischen ab der das bewußtsein atheistisch ist dazu das gefühl das bisher geglaubte durchstoßen zu haben wie ein berggipfel seine wolkendecke

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0603

august achtzig

tote spinnen vor den fenstern die sich selbst erhängt haben an ihren fäden
große fliegen tanzen vor deren kadavern in der augustsonne

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0604

august achtzig

hier brüllt einer vor freyheyt
ungedruckt und fern der heimat

du mein O'schreck
welche abschürfung des irrtums

verwitterung und verendlichung
belächelt ein deutscher den auschwitz

ICH der stern
Du spitze des mondes

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0605

august achtzig

auf neon haust ne marketenderin
die glockt zum kalken gelage
s brustbein ihrer television
antennt dich schon
mein fernsehsohn

ach der verlockrung ringkrampfkron

beinah jeden nachmittag
dasselbe
es legt vom ei sich aufs gemüt
das gelbe

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0606

august achtzig

ich habe nicht vor das denkmal meiner absichten zu sein
ich habe vor mir die traummale meines denkens

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0607

august achtzig

ficke
so dir fack gegeben
facke
fecke um dein leben
focke
wie du magst
bis es nicht mehr
fuckt

nesthäkchen
wär gern ich
von deim
lochness

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0608

august achtzig

der delfisch

delfisch orakelts ich
delf ich oder delf ich nich
wer ist der kann
du bist mein mann
ans werk hohler zwerg
fülls sein dir ein
und nennste mich
erkennste sich
erschreckste dich
nicht ich

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0609

august achtzig


verwandt einander gegenteile

sonett entreimter doppelzeile

schwelger geigen reigen

welkend im verschweigen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0610

erster september achtzig

das empfundene der gleichung liebe friede glück oder der lichtbogen des friedens ein bewußtseinszustand einmalig neuer art der etwas eröffnet in eine neue räumlichkeit mit dimensionen des denkens und bewußtseins die am anfang der erlebbarkeit stehen so wollte ich sein wenn ich sterbe

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0611

september achtzig

am anfang hatte ich sogar kAs stimme verloren

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0612

einundzwanzigster oktober achtzig

aus dem blickwinkel der russen
nach osten die chinesen nach süden afghanistan
nach westen polen
metastasen der agression
für die ddr ein balancieren zwischen abgrenzung und anlehnung
die innerdeutsche normalität zweier souveräner staaten
als russisches interesse

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0613

vierter november achtzig

das problem in polen scheint zu sein wie verhindern daß dort der erste
sozialistische bürgerkrieg ausbricht bzw die erste sozialistische
militärdiktatur aus eigener kraft errichtet wird die den bürgerkrieg
verhindern soll
das es von den russen ermutigte leute gibt die den putsch
von innen riskieren scheint die plausibelste alternative
zur intervention durch den pakt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0614

dezember achtzig

vielleicht
sprach der teufel
mache ich es noch eine weile

als weib

und vor wut darüber
fickte er sich in die nase

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0615

vierter januar einundachtzig

dieses deutsch hier

ginge man der sprache nach
käme man nie her

abends
in den wolken
nach sonnenuntergang
zertreibt das sterbensgesicht
des novalis

es ist fast trocken
kaum wind
nach starkem regen am vortag und vornacht

um null grad

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0616

fünfter januar einundachtzig

früh
zwei stunden
versicherung finanzamt

kA job hamburg konkret

über mittag
lüftet die weiße sonne
den anblick
der entfernteren waldberge

es wird kälter
bis minus zehn grad

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0617a

sechster januar einundachtzig

leicht aufgewacht zur arbeit

aber dann
ganztags
ein zeitleeres kopfhohles dösen
mit schlaffheit und ablenkung

außer
an dem stück stückhaft herum
nichts denkend

die wohnung
verstopft von einem labyrinth
vibrierender tongewinde

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0617b

belüftung entlüftung ventilation
kühlschrank heizung pumpe fahrstuhl

unterrührt die barometertiefe
nicht ums bier schmeckts
dafür verfressen bis zur atemnot

nachts dann doch schnee

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0618

siebenter januar einundachtzig

zuschauen scheitern
zufriedenheit tot

die mit dem großen mut
zur kleinen angst
sind nicht mein fall

wetter mittelkalt
minus vier grad

sonnig
dann wieder nicht

ohne wind

wir essen schnecken und reden die nacht durch

freitag kA nach hamburg
später ich

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0619

achter bis vierzehnter januar einundachtzig

ärger mit der wohnung

hilflos
wie ein ausländer

ich verdrücke mich

im fernsehen erster act tristan

immer gehen einem die sackhaare aus

vierzehnten abends feiner schnee

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0620

fünfzehnter januar einundachtzig

im schneenebel schnee
gepflügt geschaufelt geräumt
nassschwer

nachts mond
tags warmkalt

kein wort

nichts gelesen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0621a

fünfundzwanzigster februar einundachtzig

weg sind der rest januar
und der februar

hin und her
stuttgart bayreuth schönreuth lienau hamburg

zwei umzüge
eine kurzgrippe

arbeit kA london paris chicago stuttgart

der maler der kaminbauer der heizungsmonteur
die ölfirma das telefon die bank die versicherung
der wirtschaftsprüfer der konzertagent die sauna

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0621b

ich müßte einen tisch haben
wo ich wenigstens davor sitzen kann

kein laut kein wort
kein satz kein bild

nur wenn ich das fernsehen der ddr sehe
ausgerechnet

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0622a

ende februar einundachtzig

saal mit hoher decke bröckliger stuck die ornamente aufgequollen von allzu
häufiger übermalung in der ecke die durch umbau unbenutzbar gewordene
feuerstelle des einst in falschem marmor aufgeführten kamins gegenüber bei
den fenstern zwecklose kacheln einer ehemaligen waschgelegenheit
davor drei kisten voller bücher behangen von dem staubigen gerank eines
unordentlichen zierbaums kacheln pappe grün an einer längswand die fossile
wucht eines antiken schrankes an der anderen mein verlassener diwan
beiderseits davon stehen messingfahle leuchten die nicht brennen alle
entfernungen sind groß so die von dem radio das einem kleinen kraftwerk
ähnlich sieht zu der entformten leibigkeit eines hohlen geigenkastens
oder von dem dreibeinigen spinett zu meinem sitzplatz im hinteren drittel
des raumes beiseite genug doch noch frei umgehbar ein stück leinen
aufgespannt zwischen ein zusammenklappbares eisengestell und beladen von dem
fitzigen fell einer toscanischen schafart

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0622b

dort sitze ich an den füssen sandalen sonst nackt eingehüllt in eine
meterbreit um mich sich faltende wolldecke einen winzigen rest wein hinter
den lippen mein rechter arm schon sieht man sein alter fällt von der schulter
entblösst herab lichtlos verschlafene nacht regloses nachstaunen
'in dichtermut und blödigkeit' dem wirkenden gift

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0623

fünfter märz einundachtzig

vier tage
kA da

allein
nicht alleine

hängen alle an einer all-leine

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0624

neunter märz einundachtzig

spaziergang mit kA
bei blankenese

das stehende bild
vom fahrenden schiff

der fluß
stehender schiffe

durch sieben pornoromane gevögelt

dann
kA nach stuttgart

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0625

zehnter märz einundachtzig

von früh sieben
bis abends halb zehn

gartenarbeit unter lauter klaviermusik
abwechselnd mozart strawinsky

bei keinem schlechten wetter
sönnlich wärmlich nässelnd

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0626

elfter märz einundachtzig

regen aus betrübtem himmel

die wasserglatten bäume
verzweigen mir den blick

aus dem souterrain sehe ich
die schwarzglitschenen bäuche der amseln

wundervoll aufzuräumen

material durchsicht
erster anlauf zweite hälfte

theoretische literatur
einkarteiensystem

wie war das nur

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0627

dreizehnter märz einundachtzig

pisspotttage

eine sogenannte hamburger regenperiode

eine flasche siebziger rijoa marqués de rouveral
für acht fünfundzwanzig ist das leichtsinnigste
wozu ich fähig bin

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0628

fünfzehnter märz einundachtzig

wird der dritte weltkrieg kommen

wie kann man recht haben wollen
in dieser frage

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0629

sechzehnter märz einundachtzig

die putschszene
im spanischen parlament

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0630

achtzehnter märz einundachtzig

in vierzig jahren
es nicht geschafft habend
ein ddrlein zu werden
wird schon die zeit
nicht ausreichen
ein brdlein zu sein

besser als kalenderblätter
sind kAblätter

wieso habe ich das nicht längst gewußt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0631

sechsundzwanzigster märz einundachtzig

im abendlichen fernsehen
die eigentliche leistung
des tages erblickt

virtuosen der kleinen ausreden

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0632

siebenundzwanzigster märz einundachtzig

von der veranda aus
sehe ich den spatzen zu
die in einer art schützenreihe
vorgehen gegen die würmer unter dem rasen

aber geradezu
unsittlich in den sträuchern verschwinden
werden sie gestört

kurz darauf
fallen sie reglos aus den zweigen
wie töne einer ungeklungenen melodie

scheuchen sich gegenseitig von den futterstellen
bis die reihe erneut vorrückt durchs gras

das leben als rhythmische wurmjagd

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0633

dreissigster märz einundachtzig

frühling
es gockelt in den eiern

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0634

mai einundachtzig

seit zwei jahren
sitzt ein mann vor dem fernseher

und wartet auf die durchsage
daß er tot ist

ein anderer mann
macht vierzig jahre den mund nicht auf

doch als er stirbt
sagt er 'so ein mist'

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0635a

vierter mai einundachtzig

von außen gesehen habe ich seit dem ich hier bin folgendes getan acht monate
darauf verwandt daß kA herkommt vier monate wiedererlernen des zusammenseins
mit kA vier monate äußerlichkeit einrichten etc in hamburg dazwischen notiert an dem barbarocken stück

von innen gesehen ergibt sich folgendes ich glaube erst jetzt an dem punkt
angelangt zu sein der im sys bergab also ende schb 6 heißt der als
entfremdung bezeichnete vorgang heißt für mich die in den zehn jahren ddr
angehäufte theoretische literatur ist dort an die grenzen ihrer diffusion
gelangt und durch den 'sprung' zerschlagen worden

ich befinde mich jetzt seit wochen in einem zustand in dem meine gesamte
theoretische arbeit gar nicht mehr existiert also die diffusion auf null
zurückgegangen ist theoretisch müßte der umschlag in die praxis erst jetzt
erfolgen dh erst jetzt wird ein wirklich genesendes leben ein wirkliches
ensemblieren in der praxis möglich sein

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0635b

die frage ob es gehen wird verknüpft sich mir mit der frage wie kaputt ich
mich gemacht habe so sehr daß ich mich aus den mir ansichtigen teilen wieder
zusammensetzen kann oder ob die zerschlagung zu gründlich war jedenfalls
müßte wenn es gehen soll das ensemblieren konstruktiv sein muß die mir
zerschlagene theoretische arbeit praktisch erworben werden durch ensemblieren ihrer teile sonst ist sie verloren

an diesem punkt setzt der ideologisches trauma genannte vorgang an das gefühl wenn ich dieses stück nicht schreibe gar nichts mehr zu schreiben war genauso richtig wie der eindruck daß genau dieses stück die therapeutische funktion meiner praktischen entstehung in der arbeit zur aufgabe hat

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0636

nachtrag mai einundachtzig

tribünenbrüstung
mit aufgelegten händen
darunter ein einzelnes plakat
über einer schicht von regenschirmen

fernsehbild erster mai ostberlin

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0637

juni einundachtzig

bis ende des monats
mit kA urlaub
auf hallig hooge

abschied von der flucht

amrum
die mondinsel

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0638

juli und anfang august einundachtzig

erste entschiedene befassung
mit allen büchern notizen materialien briefen
die bisher eingetroffen sind

ein hauch von identität

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0639

ende august einundachtzig

die glaubigkeit der gegenwart scheint ableitbar aus dem hoffnungslosen
unverständnis der vergänglichkeit unserer zukunft

mit der sogenannten vernünftigkeit des gegenwärtigen scheint es
umgekehrt zu sein

es resultiert aus der geradezu ungläubigen hoffnung des vergangenen
auf eine zukunft

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0640a

ende august einundachtzig

drei tage geschuftet
wieder arbeitsraum

telefonat ostberlin
akustische peepshow

politik
überlebensmüdeste satire auf den salon tuzzi
ost west
die verschiedenen vorzeichen der gleichen null

die mühe hier resultiert aus meiner not
dort

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0640b

wem alles leicht fällt
der fällt auch leichter

je weniger grund zum abhauen bestand
umso einfacher ist es

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0641

september einundachtzig

rom
ischia
völs

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0642

erster zehnter einundachtzig

gesellschaft für das recht auf einen würdigen tod
'exit'
in london

bund für geistesfreiheit
in westdeutschland
('unseriös')

informationszentrum vinkega
in holland
(vereinszeitung eu-thanatos)

vesparax
starkes schlafmittel
in der schweiz rezeptfrei

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0643

sechster oktober einundachtzig

telefon
zentralheizung

mein arbeitsraum

wen soll ich anrufen

material für eine geldarbeit angesehen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0644

neunter oktober einundachtzig

herbsthirn
wie faules laub

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0645

fünfzehnter bis neunzehnter oktober einundachtzig

rotz und grippe
wieder mal

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0646a

zwanzigster und einundzwanzigster oktober einundachtzig

plötzlich war die italienreise wie eine wand
auf die meine erinnerung aufprallt

erster zweiter september
hamburg rom

dritter september
erster fußgang

porta pia stadtmauer villa buonaparte termen des diocletian
palazzo barberini quirinal villa colona gregorianische universität
trajanssäule monument vitt. emmanuele teatro di marcello isola tiberina
circo massimo forum des trajan und forum des augustus

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0646b

vierter september
zweiter fußweg

vormittags zu einer markthalle südlich der piazza bologna
nachmittags villa ada und villa torlonia

fünfter september
dritter fußgang

petersdom engelsburg piazza navona pantheon trevibrunnen
spanische treppe villa medici monte pincio piazza del popolo
mausoleum des augustus

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0646c

sechster september
vierter fußweg

cimitero campo verano basilica di san lorenzo porta s.lorenzo
entlang der mauer via di porta labicana porta maggiore piazzale labicano
s.croce in gerusalemme porta und s.giovanni in laterano porta metronia
villa celimontana termen des caracalla porta s.paolo piramide
via der porta portese den od die tiber entlang bis capitol zurück
capitol piazza venezia

siebenter september
boccia und ausruhen

achter september
kA geburtstag foro romano palatino colosseo esquilino s.maria maggiore

neunter september
vatikanische museen tiber park der villa borghese corso

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0646d

zehnter september
ostia

elfter september
wege erledigungen einkäufe

zwölfter september
museum der villa borghese am vormittag
nachmittag und abends im park der villa doria pamphili

dreizehnter september
petersdom ausführlich nochmal piazza navona auf dem rückweg
verschiedene kirchen

vierzehnter september
rom neapel ischia eine woche baden

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0646e

zweiundzwanzigster september
zurück bis bozen und nach völs am schlern

sechsundzwanzigster september
völs bozen mit dem bummelzug bis kufstein

siebenundzwanzigster september
morgens hamburg

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0646f

die welt kennen bevor man sie gesehen hat

das gefühl vom süden ist schon warm wie der wind

palazzo räumliche fassaden räume aus und als fassaden

der römische imperialismus war auch eine kunst
teatro di marcello

die tiber schaumgrün und an manchen stellen wie ein wildwasser
zwischen die weißen tuffwände der hohen uferfestung geleitet

circo massimo die breite solcher kampfbahnen
und die gelassenheit der ränge

villa aristokratismus zwischen architektur und natur

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0646g

pieta im dom die kuppel und pantheon die kuppel wie die pieta menschlich
das pantheon kosmisch eines die welt in sich um sich das andere

mauer das zivilisierte der berliner mauer es gibt keine tore portale

römische ruinen wie reste explodierter gaswerke

capitol der winkel der treppe steil und unmißverständlich nach oben

haus der vestalinnen das aufspüren befestigen erhalten heiliger orte
ist eine der größten leistungen des bewußtseins selbsterkenntnis der menscheit

forum romanum wie eng die straßen zwischen den tempeln marmor wie wir beton

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0646h

sixtinische kapelle architektur malerei plastik in einem
der betrachtende mensch als gegenstand des ihn wie sein bewußtsein
umgebenden universalen bildraumes

tizian villa borghese reine malerei

villa doria pamphili blick die peterskuppel ohne dom

um den brenner rum wolkensteine

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0647

neunundzwanzigster november einundachtzig

meine november

mit kA in bargfeld kreis celle
wir klauen einen fichtenzweig
aus schmidt sein'm garten
zum advent

und stoßen im gasthof bangemann
mit bier und hühnerbrühe auf
AS an

(alles fast wie in wölsi...)

das dies der erste und vielleicht einzige
besuch bei einem schriftsteller ist
macht mich de-mütig

eine art buccolischer de-mut

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0648

zwölfter und dreizehnter dezember einundachtzig

anderthalb medial verbrachte tage

der anschein machtwirtschaftlicher rezession
und die alte groß-gefahr
den frieden zu zerreden
inmitten dieser machtmißwirtschaft
frieden ist doch kein opportunitätsprinzip
ein erschreckender friedensmißbrauch

daß der frieden nicht nur begrifflich
in eine sogenannte bewegung diffundiert
welche die machtwirtschaft benötigt
um aus ihrer rezession zu kommen

die gefahr eines krieges
wenn die macht den frieden benötigt
um sich vor dem zusammenbruch zu retten

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0649

vierzehnter dezember einundachtzig

im übrigen übelkeit
und tobenden herzens
nach dem vorherigen medialen wochenende

kennt man die dichter denn
wenn man ihre krankheiten nicht hat

mir war schlecht wie trakl in der bank

die ewigen genossen
tragen inzwischen
an der deutschen teilung
wie an einer ziernarbe

eher abschreckung als abgrenzung

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0650

sechzehnter siebzehnter dezember einundachtzig

zur komplettierung des wochenthemas
besuch aus ostberlin

ddr
siebzehn millionen hungernder millionäre

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0651

einundzwanzigster zwölfter einundachtzig

im gegenteil

genie ist
verstand zu finden

wann hört man von idioten
die den verstand verlieren

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0652

sechster januar zweiundachtzig

nebenan löst einer
bei erfolgender ejakulation (meiner)
die klosettspülung aus

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0653a

zehnter januar zweiundachtzig

noch sehnt niemand
den beginn eines neuen jahrtausends herbei

aber viele ängste
außer der hauptangst vor dem endkrieg
könnten als unterlage
die unbewußte angst
vor dem jahrtausendende haben

utopische konsequenz

die kosmische legislaturperiode
ist abgelaufen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0653b

die welt wird abgesetzt
kirche sprache filosofie kunst wissenschaft
werden aufgelöst

das weltall schreibt neuwahlen aus

gewählt wird was

antworten
zu fragender nacht
wachen erdacht
zu ende gesagt
fraglosem tag

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0654

neunundzwanzigster januar zweiundachtzig

eine zehntägige mordsrotztour
im broch fiebernd herumgebracht

zwischendurch ein tag berlin
kartei nun vollständig hier

auch das besichtigt

im flugzeug zwei einfälle für geldarbeit

die papiere ab breslau durchblätternd so eine familienspekulation
die abhauerei kA nur per telefon real meine existenz

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0655

zweiundzwanzigster februar zweiundachtzig

zwei tage
erledigungen

fünf tage
schnellurlaub

fehmarn
die weite die schiffe

wie gewöhnlich

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0656

zehnter märz zweiundachtzig

wenn mich etwas an mir interessiert
sind es meine miesen seiten

es sind mindestens sechzehn
siehe trauma

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0657

fünfter bis achter märz zweiundachtzig

vier tage amsterdam
rembrandt van gogh vor allem kA

mädchen gibt es
die ihre manzi tragen

wie kein mann
seinen sack

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0658

elfter märz zweiundachtzig

aus dem osten zurück
oder einmal durchs trauma

bei dem versuch
einen brief zu schreiben
hat es mich einmal
durch den ganzen vorgang gezogen

gemerkt habe ich das
natürlich erst hinterher

aber
es schärft das sinnen

gut für das stück

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0659

zwanzigster märz zweiundachtzig

für den mann von vierzig
gibts nur entweder

er wird zur memme

oder er wird mensch

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0660

dreiundzwanzigster märz zweiundachtzig

faust
im fernsehen

wessen tragödie ist das nun

die des alten goethe
den kein teufel mehr verführen
und der kein weib mehr glücklich machen kann

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0661

fünfundzwanzigster märz zweiundachtzig

'ich will mich gut benehmen'

zastrows antwort auf die frage
nach dem richtigen leben

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0662

achter april zweiundachtzig

vormitternachtsgewitter
im radio mahlerlieder
um mitternacht

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0663

vierzehnter april zweiundachtzig

man müßte seine arbeit schon sehr lieben
um sie nicht zu machen

insoweit liebe ich auch die ddr
die metafer meines themas

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0664

siebzehnter achtzehnter april zweiundachtzig

genf wegen geldarbeit

genève-champel I chemin des clochettes

wie coswig im traum
ich bin einmal ringsherum gegangen
es war wie 'am tag der beerdigung'
oder 'coswig später'

es tat das haus nicht dergleichen
und die umgebung hält abstand

auch die späteren neubauten unfeierlich
ausweglos

das 'grab' nicht
da der friedhof saint-georges schon geschlossen war

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0665a

fünfundzwanzigster april bis dreiundzwanzigster mai zweiundachtzig

griechische inseln

25.4.  hamburg athen hotel in piräus

26.4.  nach tinos

29.4.  nach mykonos

05.5.  nach ios

09.5.  nach thira

10.5.  nach folegandros

13.5.  nach ios

15.5.  nach sifnos

22.5.  nach piräus nachtboot

23.5.  früh athen abends athen hamburg

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0665b

die weiße taube von tinos

ägaische nähe wenn in mykonos eine henne eier legt
krähen auf syros und tinos die hähne

griechische dramatik statt römischer theatralik

granit und roter mohn

steine wie tiere wie kröten

nachts die rosenfarbe des mondes

landschaft als darstellung der freiheit menschlichen geistes

'verloren die lust am sterben'

der honigduft der kamille

schwarzes pferd vor grauem haus

vor dir steht dein rätsel

du bist so frei wie das land in dir

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0665c

delos die löwen ihre vergänglichkeit ist erschütternd
das ewige immer noch übersterbend wie veterane invaliden
geschundene einer katastrophe die menschheit heißt

mykonos abends das meer türkis unter violett

die sonne spiegelt ihren eigenen untergang

es gibt momente wo man die hände zum himmel hebt
diese älteste form des betens

delos das heilige ist die mitte des geistes

delos das menschliche ist religiös nicht staatlich

delos wie menschlich klein statt unmenschlich groß

steine wie gerippe skeletteile

teile der landschaft einander entsprechend
das meer zum himmel das meer zur insel

über mittag auf einem alten kahn zwischen paros und naxos
blauglänzende ägais volldröhnende lautsprecher
rubinstein spielt chopin

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0665d

ios auch ist das grab homers die ganze insel

die ilias sind die inseln die odyssee ist das meer
homer ist die ägais sein grab ist ios

der gott der uns staunenden die schönheit seiner welt zeigt
und unsere suche nach einem ort wo wir sterbenden sein könnten
sind das was man reisen nennen könnte in griechendland

feuer (licht) wasser erde luft und das gehen von berg zu berg
ein gipfel ein tal ein gipfel eine insel der schrei der esel
der wegweisende hirte (gott) der wachend wachsende geist der greise (gott)

ein schicksal aus elementen

landschaft in sich kreißende panoramen

der himmel über dem scheitel am höchsten
zu seiten der ausgebreiteten arme bis zur erde herabgesenkt

(die umgekehrte sich über die welt neigende blüte der blauen blume)

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0665e

die hummeln von folegandros

ios das erlebte wiederzusehen

die ein-sprachigkeit der kultur

sifnos der silberne sand

das weiche licht der berge

am hafen der schoß der bucht mit sternen gefüllt

die räumlichkeit der landschaft

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0666a

erster juni zweiundachtzig

nach der griechenlandreise übereinstimmend mit kA die fortwährend an
weiblichem gewinnt der eindruck des hinter uns gelassenen abendlandes
(für welchen moment)

gegen griechischen mythos wirkt alle romantische fantasie puppenspielig
schlaafmützig (ausgerechnet die neuinszenierung der zauberflöte)

taumelnd im kopf vom bewußtwerden einer last 'griechen land' wo die
ewigkeit noch ihr vergängliches weiß (gegen rom wo jede sekunde
ewigkeit 'ahmt')

griechische landschaft als bild menschlichen geistes dessen freiheit
in sich kreisenden panoramen ein bild im sinne der einheit von psyche
und weltsicht (diese landschaft ist ihr bild von sich)

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0666b

im übrigen
eine woche und mehr
verkümmerung auf weiterarbeitsmaß

warten auf das wissen (broch)

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0667

vierter juni zweiundachtzig

die geldarbeit vom vorigen spätherbst hat sich erledigt
es war die alte adoptionsgeschichte bevor sie zu §0/2 wurde
für den film verkleinert und als minimum mit dem umgekehrten
itard-ansatz verschnippselt
ablehnung weil keine fabel das alte lied

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0668

siebzehnter juni zweiundachtzig

zehn tage schopfarbeit
stillsitzend
mit einer schnittwunde unterm knie

nach einem wutanfall
den man als eremit in deutschland
nicht vermeiden sollte

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0669

achtundzwanzigster juni zweiundachtzig

die geschichte von dem mann
der zu aller welt
unbegreiflich freundlich lieb und gut ist

weil er glaubt
alle welt sei tot

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0670

neunundzwanzigster juni zweiundachtzig

die geschichte von dem enkel
des jägers gracchus
der in dem anderen zwischenbereich
hängen bleibt

dem zwischen dem neuen leben
das er sich erstorben hat
und dem totsein

dem also nicht beim absturz
sondern beim aufsteigen
etwas schief gegangen war

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0671

neunundzwanzigster juni zweiundachtzig

der weg meiner generation
von der revolte zur schonkost

verglichen mit dem vorgang
zu anfang des jahrhunderts

was bleibt
sind die sechzehnjährigen beamtentöchter
im schlafanzug

die mit gegrätschten beinen
vor dem fernsehapparat sitzen
und stricken

das massenmedium heißt jugend
und das biedermeier funktioniert elektronisch

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0672

erster juli zweiundachtzig

wenn man sich doch diese scheißruhe
aus dem arsch wichsen könnte

denn
vorher fängt keine arbeit an

oder
griechenland   schreibtisch

der weg zurück
ist einen monat drei liter schnaps
und einen tobsuchtsanfall lang

apropos die ddr
hat auch offiziell verzichtet

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0673a

vierter juli zweiundachtzig

am zweiten
gegammelt
da ich nun ein richtiger deutscher westdeutscher bin
hab ich 'fußball geguckt'

am dritten
o setzte mich doch der gott sanft
an den schreibtisch ab

am vierten
der weg von dem
in sechzehn figurationen
traumatisierten ich
zu dem bewußtsein vom bewußtsein
in der mitte des geistes
und zurück

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0673b

ist nie auf einmal
und in voller länge
ganz überbrückbar

in einem satz
erinnerungen
an mich selbst

bis siebten
auch alte briefe gelesen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0674

dreizehnter juli zweiundachtzig

der zahnarzt
spaltet mir den rachen
und schickt mich hinaus zum warten

gegen abend beginnen die sprechstundenhilfen
nach hause zu gehen

bei ihm aber ist noch licht

mit dem nachlassen der wirkung der spritze
beginnt mein erwachen

traumlang mundoffen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0675

vierzehnter juli zweiundachtzig

man kann jeder meinung sein solange diese im kontext mit allen anderen steht
also im grunde nichts ist was mein ist oder gar etwas welches das meine meint
vielmehr nur ein akt des herausstellens des allgemeinen ist auf das es
als grund verweist

eine meinung die allgemein ist eine meinung also die alle meinen ohne
daß alle gemeint sind die jedoch von allen gemeint wird heißt gemeinheit

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0676a

neunzehnter juli zweiundachtzig

"würden sie so freundlich sein und mich erschlagen mich tötet sonst
wut auf mich endlich endlich hasse ich die arbeit sie beendend mit
dem schädel die typen der schreibmaschine zerdreschend mein umsonst
ist ja so winzig klagen gelingt nur klein erbärmlichkeit ohne format
fort mit mir in die grube der unnötigkeit selbst das nichts müßte
prahlen behauptete es mich weder aufhören noch weitermachen weder
anfangen noch enden arbeit du größte der anmaßungen statt still zu
warten bis sich die zeit findet mich sterben zu lassen wie schlecht
muß sein was von mir verlangt wurde zu wollen daß nicht einmal der
verdammnis es würdig ist kein scheitern ist mir vergönnt kein erfolg
der ihm folgte nimm lieber gott deine quietschende ferkelei auseinander
und du wirst feststellen daß es nicht mal scheiße war was da quietschte
ich lege den größten wert darauf dir zu beweisen daß ich nicht auf der
welt war oh lieber herrgott du hast mich am arsch gekriegt"

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0676b

anschließend
kintopp kneipe und
um ein haar
noch bumsvalera

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0677

sechsundzwanzigster juli bis zweiter august zweiundachtzig

sechs tage besuch der alten babe
viel ddr
sie ist wie ein becher
darin die würfel sinnlos klappern

das schicksal hat kein gedächtnis
ihr schicksal scheint
sich an nichts zu erinnern

fünf minuten vor zugabfahrt
teilt sie mir ihre absicht mit
uns zu enterben

ein mühelos zuzugestehendes
was die handvoll materie betrifft

geistig etwas aufatmenmachendes
fast eine kleine lossprechung

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0678

dritter august bis siebenter august zweiundachtzig

krempelwoche
drei tage zahnarzt
aber trotzdem gelesen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0679

zehnter august zweiundachtzig

stumpfer schund
staubdumpf

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0680

siebzehnter august zweiundachtzig

der arbeiter
der prolet-arier
die gestalt des jahrhunderts
konserviert sich entgegen der arbeit

wo diese menschliches verliert
oder schöpferisch sich ändert
wird er selbst reaktion dieses prozesses

mit dem progress der arbeit
werden die arbeiter als klasse regress

wer die arbeit macht
hat sie nicht

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0681

dreiundzwanzigster august zweiundachtzig

im übrigen
ist mir schlecht
von mir

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0682

vierundzwanzigster bis dreissigster august zweiundachtzig

eine woche bayreuth

bier
basilika bibliothek waldsassen
tschechische grenze
ruine hardenberg
dom gandersheim

im harz

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0683

sechster bis zehnter neunter zweiundachtzig

london

big ben der schönste londoner
sonst lauter männer einer unsichtbaren frau

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0684

vierzehnter september zweiundachtzig

zahnarzt
zwei weitere zähne wurzelspitzenresektion

das sich nicht ändernde grundmuster
der weltherrschaft

damit es wenigen sehr gut geht
müssen sehr viele sehr viel arbeiten

energieträger dieses mechanismus
ist eine dritte gruppe

sie wird verheizt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0685

fünfzehnter neunter zweiundachtzig

die schriftsteller politisieren
wie die bildenden künstler
sich kostümieren

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0686

achtzehnter september zweiundachtzig

mit kA
an der elbe bei glienitz gegenüber zeetze

trächtig gleitend
tragende trägheit
kuhruhe stromstille
sandender landiger fluß

bei kleistischer belichtung

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0687

dreiundzwanzigster september zweiundachtzig

leben 'tue' ich
als wollte ich
dass nicht mal die notizbücher
voll würden

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0688

fünfundzwanzigster september zweiundachtzig

wegen geldarbeit
braunschweig halffter

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0689

dreissigster september zweiundachtzig

fazit september
'wie auf einem parkplatz'

jetzt erst klarheit
über die letzten vier wochen

so stark wirkt alles nach

wahrscheinlich ein erholen
von der einseitigkeit des schreibens

wohl das einseitigste was es gibt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0690

erster oktober zweiundachtzig

politik
die zeit
wo man sich gegenseitig
im konsens erstickte
scheint vorbei

die zukunft
ist voller vertrauen
darauf
daß sie keiner erlebt

es geht um die macht
die es nicht mehr gibt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0691

fünfzehnter oktober zweiundachtzig

eine galaktisch-weite bewegung
auf uns zu von mit uns weg

mahler
letzter satz neunte sinfonie
adagio zehnte sinfonie

zusammen-hören

ansonsten
ist die ewigkeit überfüllt

jeder
kann sich verewigen
und tut es

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0692

vierundzwanzigster oktober zweiundachtzig

wortlos
neubewußt

nun-ahnbarkeit

seit wochen
in schönstem herbst

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0693

sechsundzwanzigster oktober zweiundachtzig

das unbewußte plagt mich
ost-gesichtig

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0694

sechster bis neunter november zweiundachtzig

ddrbesucher
absagen darmstadt schönreuth
zahnarzt stiftaufbau an fünf zähnen
ostreiseantrag kA

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0695

vierundzwanzigster november zweiundachtzig

gestern wieder früh bis mittag
zahnarzt weiter zähne endlich

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0696

dritter dezember zweiundachtzig

schlaflos
zu nichtarbeitendem
geisttod
verurteilt

die hölle
ist der punkt
wo es weder vor noch zurück geht

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0697

neunter dezember zweiundachtzig

was war
weiß ich nicht

ein sysiphischer absturz
ins tartarosisch unbewußte

schnittwunden auf der stirn

der erholsame spaziergang
an der elbe hinter wedel hat die bremsen gelöst

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0698

zehnter dezember zweiundachtzig

meinem gewissen
ist schlecht

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0699

fünfzehnter bis einunddreissigster dezember zweiundachtzig

bude zu

viel private scheiße
geschaufelt

besonders
betreffend kAs job

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0700

vierter januar dreiundachtzig

schon haben wir hier
eine 'hiesige' vergangenheit

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0701

zölfter januar dreiundachtzig

dichterwunsch
daß das schreiben
so jeden tag
leichter würde
wie das nichtschreiben
es schwer war

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0702

dreizehnter januar dreiundachtzig

gut und gerne dumm
scheinen die sogenannten schriftsteller
selbst nicht zu wissen
wieviele von ihnen auf ein buch 'kommen'

immer mehr bücher
weil immer weniger schriftsteller

man hat
'ein jedes'
seine ideologie nicht grundlos
es kommt dies
auf das darunterliegende trauma an

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0703

fünfundzwanzigster januar dreiundachtzig

wer weiß wie die schamlippen der frauen sich in flügel verwandeln
mit deren hilfe männliche schwänze davonfliegen
der weiß auch wie sehr sie dieser geborgten flügel
'ver-lustig' gehen können

plastik gestürzter ikarus

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0704a

dreissigster januar dreiundachtzig

die ganze eitelkeit
des manns
zu spiegeln sich
in seiner glans

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0704b

Fischlied

Angler Tod
Mein Herz beißt an
Mich fährt Dein Kahn
Ins Land der toten Fische

Du siehst mich an
Von Anfang an
Den Tag so lang
Bis ich gefangen

Schweigt der Fluß
Neigt sich der Kahn
Beim Ufer dann
Komme ich an die Angel

Es mangelt dem Tod
Des Anglers Not
Nie sterben die Fische aus

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0705

elfter februar dreiundachtzig

ein brett vor den kopf
und durch die wand
mit ihm

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0706

sechzehnter februar dreiundachtzig

toleranz juristisch
aus zehn vorurteilen
ein wiederaufnahmeverfahren
zu machen

ddrbesuch
wer sich aufs falsche pferd gesetzt hat
wird nicht dadurch entschuldigt
daß er verkehrtrum draufsitzt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0707

zehnter märz dreiundachtzig

suche und finde
dein haar in der suppe

oder

ein ding ein dreh pro mann
lautet der auftrag

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0708

märz dreiundachtzig

der geist
macht die beine breit

die seele
vögelt (sich aus dem/den leib)

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0709

april dreiundachtzig

alles wesentliche dieses jahrhunderts haben die wesentlichen
beschreiber dieses jahrhunderts beschrieben das wesentliche
und seine beschreiber sind gewesen andere kommende wesentliche
werden ihre kommenden beschreiber finden wesentlich dadurch
werden der abgrund der sie verbinden wird unüberbrückbar
namenlos sind wir

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0710

siebzehnter mai dreiundachtzig

während der rabelais-lektüre
spiegelt der himmel
wie eine frischgefickte möse
die sich die schamlippen leckt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0711

zweiundzwanzigster dreiundzwanzigster mai dreiundachtzig

pfingsten
ein wetter
daß einen die hunde anknurren
wortlos reglos
fallen leute
auf der straße um
es siecht der grips
es stammelt das denken

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0712

neunundzwanzigster mai dreiundachtzig

rundfunkaufnahme cosi fan tutte

der eindruck daß bei mozart das geräusch gerede gelärm die lästigkeit
der bewegungen des körpers der einfälle und gefühle so wahrgenommen sind
daß da nicht menschen singen sondern töne sich verdichten zu stimme geste
und gefahr

das ent-fremdete ist noch so mühsam erdschwer gegen das oft als künstlich
bezeichnete dieser opern die am nächsten dem menschlichen existieren kommen
wie es als eine art theater vor dem geist sich abspielt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0713a

sechsundzwanzigster juli dreiundachtzig

was ist der mensch

wenn überhaupt
ein lebewesen
daß die straße entlanggeht
und wenn es ihm juckt
sich im arsch kratzt
und sich anschließend umdreht
ob hinter ihm jemand kommt
der es gesehen hat

jeder andere
würde sich erst umdrehen
und dann kratzen

wenn überhaupt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0713b

Das Haustier

Den Begriff der Wahrheit
Hat es verloren

Es verzichtet darauf
Erfahrungen zu haben

(Geschweige denn sich welche zu machen)
Es ist mit Freuden dumm

Seine Intimsphäre ist
Die Öffentlichkeit

Vor ihm der Fernsehapparat
Über ihm die Atombombe

Um sich sein Staat
In sich ideologisch

Lebt es auf der erstarrten
Leere der Oberfläche

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0713c

Ernährt sich da so
Von 'Frieden' und 'Sicherheit'

Und schreit ganz laut
"Ich will nichts wissen"

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0714a

fünfter september bis vierter oktober dreiundachtzig

südliche steiermark

05.IX. ab hamburg zug dreiundzwanzig uhr sechzehn

06.IX. an passau neun uhr fünfzig

06.IX. ab passau schiff fünfzehn uhr übernacht auf dem kahn

07.IX. an wien zwanzig uhr fünfzehn

bis

12.IX. ab wien zug zehn uhr

12.IX. an straden bus neunzehn uhr vierundzwanzig

bis

15.IX. beim 'jägerwirt' scherdel josef

16.IX.

bis

25.IX. bei der stohrer berta

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0714b

26.IX. bus nach graz zug bis gröbming postbus nach st.nicolai

26.IX. in fleiß beim mörschbacher cölestin

bis

04.0X. früh mit dem postbus zurück nach gröbming

04.0X. mit dem zug nach bischofshofen dort in den zug nach hamburg

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0714c

straden

hoch und nah
ist der himmel

die berge
schichten im blau

rund ist der ganze
horizont

die grüne schale
das tal

im licht
spiegeln sich vögel

und oben vor
hitze der wind

darunter aber
wächst wein

geht glänzend der weg
um das haus

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0715

zweiundzwanzigster dezember dreiundachtzig

besiegt euer leben
ehe der friede stirbt
unsterblich sind
nur die toten

für den zwischenvorhang
idomeneo stuttgart

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0716

ende dezember dreiundachtzig

mit kA in worpswede
haus im schluh
barkenhoff
fischerhude modersohnhaus

drei alte löffel
wie mumien
in einem
mit stoff ausgelegten
zinnkästchen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0717

dreiundzwanzigster januar vierundachtzig

eine woche
sinnlos vermurkst

eine art
geisteskrankheit

im grunde aber
daß zu tun habend

was ich vorigen mai
übersprungen hatte

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0718

achtundzwanzigster januar bis dritten februar vierundachtzig

ofen aus
(lüften an der ostsee)

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0719

zwanzigster februar vierundachtzig

die welt als badewanne gott der stöpsel das wasser aus dem hahn
das leben die entwicklung läßt man das wasser laufen hat die wanne
keinen stöpsel läuft das wasser in die wanne durch sie hindurch
und aus ihr hinaus läßt man den stöpsel drin läuft die wanne voll
und über und der abfluß erfolgt über den rand der wanne in die
badestube durch die kacheln und den fußboden dreht man den hahn ab
und zieht man den stöpsel nicht heraus ist die wanne bald dreckig
das wasser abgestanden und kalt wer aber geht baden

geträumt
morgens
halbwach

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0720

märz vierundachtzig

peter brook carmenfilm

man begreift was nietzsche gemeint hat
die schlüsselszene das duett zwischen
dem kind vom land und dem biest aus der stadt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0721

zwanzigster märz vierundachtzig

zustand
zwischen zoni und zombi

was ich im kopf habe
ist gefrorene jauche

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0722

april vierundachtzig

ich bin ein zoni
was nicht das gleiche ist wie ein zombi
aber die gemeinsamkeit besteht in den unterschieden
der zombi kommt aus dem jenseits
der zoni aus dem abseits
der zombi lebt vom gestorbensein
und der zoni stirbt am erlebten
der zombi ist ein getriebener
der zoni ein geflohener

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0723

sechzehnter bis neunzehnter april vierundachtzig

kA an der grenze berlin nicht durch gelassen
vier tage berlin viele rembrandt tizian cdfriedrich

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0724

zwanzigster april vierundachtzig

ein
bis auf wenige
bräunliche streifen im gefieder
weißer sperling

seit dreizehnten april lesebrille

wie ungenau
solche korrekturen am eindruck der welt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0725

neunundzwanzigster april vierundachtzig

im kaufhaus

nachdem ich den satz
'die dichter haben die erde verlassen'
in den heimcomputer getippt habe
antwortet dieser apparat
SYNTAX ERROR
was er in anderen fällen falscher eingaben
allerdings auch tut

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0726

april vierundachtzig

im zirkus reiten sechs damen in kostümen von achtzehnhundertfünfzig
im herrensattel sitzend in der manege herum der erotische reiz ihres
weißbezogenen schoßes mit den gespreizten beinen stammt ebenfalls von
achtzehnhundertfünfzig und wenn der zirkus mich einhundertvierunddreißig
jahre älter macht statt fünfunddreißig jahre jünger dann brauche ich
nicht mehr hinzugehen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0727

vierzehnter mai vierundachtzig

der übersonnte garten
dick und fett das grün der maibäume
ein zaun
dahinter gelbe blumen
und spielende mädchen
davor ein knabe
blond und lockig
der die blumen abreißt
und die älteren mädchen anschaut

mir 'tränte die seele'
da mein alter mich erinnerte

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0728

zweiundzwanzigster mai vierundachtzig

ein wahnsinnsmai
erst besoffen von der einarbeitung
dann vom wein
acht deutsche sorten probiert
und nun das wetter
seit tagen drei hochs drei tiefs pro tag

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0729

erster juni vierundachtzig

mein arbeitsraum stinkt nach bratkartoffeln
wie das kulturministerium der ddr
ich glaube ich muß mal jemandem
in den arsch treten

mir

fazit mai
da muß ich auf der erde gewesen sein
der wein war gut
sonst wars wohl ein bißchen fürchterlich nichts

was fürne satire

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0730

fünfter juli vierundachtzig

das geistige niveau
meiner untätigkeit
ist hoch

je untätiger
um so geistvoller

wie klug
was ich lasse

wie dumm
was ich tue

jedoch

das klügste zu lassen
ist nicht immer das dümmste

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0731

siebenundzwanzigster juli vierundachtzig

schockiert
daß ich nicht mehr jung bin

schockiert
daß ich noch nicht alt bin

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0732a

erster bis dreissigster september vierundachtzig

urlaub portugal

1.sep

bus ham - düss flug düss - oporto taxi hotel erste stadtbesichtigung

2.sep

zweite stadtbesichtigung erstes essen frango churasco nachmittags
altstadt beiderseits des douro portwein bahnhof mit hilfe eines mädchens
das in bremen lebt erste verbindungen zur weiterfahrt abends hotel
telefonisch pension in miranda da in lamego wegen romaria alles besetzt

3.sep

oporto - pocinho mit der bahn pocinho - miranda do douro mit dem bus
guter vinho regiao in der stadt und erster gebackener fisch (merlan)

4.sep

erster spaziergang in die landschaft ebenen richtung vilar seco
abends in einer von einheimischen bewohnten pension bacalhau und posta
das dortige beefsteak

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0732b

5.sep

zweiter spaziergang am douro entlang richtung paradela bis aldheira nova
mit fernandez zum douro hinunter bei ihm zu hause zurück in der poussada von
miranda gegrillte gambaartige tiere und hammelkotelett viel trockener
portwein recht gesoffen und geschwelgt

6.sep

vormittags vertrödelt und ausgeruht mittags hausmannskost schweinefleisch
mit gemüse und sehr gutschmeckenden kartoffeln dann spaziergang nochmal zum
douro guter wein in der cafebar emigrante dann nochmal besichtigung von
anderen teilen von miranda

7.sep

früh saukalt bus nach braganca ca zwei stunden aufenthalt viel fragerei
wegen bus zwölf uhr weiter nach vinhais die von fernandez angerufene
pensao leao die dick im telefonbuch steht ist eine halbeingefallene
kaschemme während wir dastehen zeigt uns der busschaffner eine andere
pension nimmt uns schließlich im bus mit bis vor die tür erledigt für uns
die reservierung und fährt weiter...

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0732c

...die pension gehört seiner mutter uralte unterkunft aber gut gelegen
anschließend gegessen und kurzer spaziergang dann mit fünf liter-
kanister wein auf dem balkon nur noch dagesessen und dem waldbrand
gegenüber zugeschaut

8.sep

kA geburtstag entsprechend gelaunt spaziergang zu dem direkt nördlich
hinter vinhais gelegenen berg nach langem suchen weg bis hinauf dann
ernste gespräche und ein großartiger spaziergang etwa wie die gestrichelte
linie auf der karte dann in einer kneipe versucht portugiesisches bier
zu trinken zwei leute die in deutschland gearbeitet haben dann in der
cafebar die auch die busfahrkarten verkauft alle möglichen und vorhandenen
schnäpse probiert

9.sep

spaziergang hinunter ins tal unterhalb vinhais an einem wehr am fluß
im schatten gesessen und später auf halbem weg zurück pause in einem
verlassenen bauernhaus filosophische gespräche zweiter teil ich habe
zwei wanzenbisse

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0732d

10.sep

mit dem bus nach chaves wo ist die haltestelle wir kommen um die ecke
an einer tankstelle stehen leute der bus fährt vor weiter bis braga
busbahnhof para arcos bahnsteig vierzehn in zehn minuten in arcos
erste pension türen weit auf keiner da touristikbüro hilsbereites mädchen
wir landen in dem farmhaus das wir in hamburg erst fest buchen wollten
erstes bad und kahnfahrt im und auf dem rio vez dann etwas mieses gegessen
in der pension emilia alles andere sehr ok

11.sep

nur geschwommen gepennt kahn gefahren ping pong gespielt uns gepflegt
gutes fleisch gekauft gegrillt und den vielleicht besten vinho verde
getrunken die hausabfüllung

12.sep

stundenlang auf dem wochenmarkt in arcos dann wein sardinhas gegrillt
und geschwommen im fluß

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0732e

13.sep

vormittags ausflug in die umgebenden hügel dann in der stadt ergriff
ein koller von mir besitz und tobte sich bei einem kirschartigen likör
auf dem rio vez aus halbzeit dann geschlafen dann in der stadt gegessen
gute caldo verde

14.sep

ausflug nach lindoso spaziergang und zurück sehr gute steaks gegrillt
und verde getrunken

15.sep

mit dem bus vormittags nach moncao dort aufenthalt mit dem zug weiter
bis vila praia de ancora mit dem taxi erst die pension in pinhal da gelfa
abgeklappert campingplatz dann gelandet in der pension direkt neben der
straße in afife an der reception nach einem zu mietenden haus gefragt
dann erstes bad im atlantik dann kneipe klein direkt am meer an der düne
klapperstühle sonnenuntergang große gambas fünfundsiebziger dao nachts
wahnsinnig vom lärm

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0732f

16.sep

umzug zu senhora lina die uns ihr haus vermietet wir sind total entzückt
wohnen ungestört können kochen etc nachmittags baden keine menschenseele
weiter breiter strand

17.sep

auf vorrat eingekauft dann strand bis abends

18./19.sep

dito

20.sep

strand baden und fußwanderung nach montedor zum leuchtturm

21.sep

ausflug nach viana do castelo eine art kuddelfleck mit bohnen gegessen
erstklassig caldo verde ein traum nachmittags am strand

22.sep

am strand

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0732g

23.sep

anfangs regen zu fuß nach vila praia richtige antlantikstimmung zu fuß
zurück vorher bei einer alten bärtigen seeräuberin blutwurstfarbenen
rotwein aus großen kaffeetassen getrunken zum schluß vom verde regelrecht
voll die wilden hunde am strand mit schokoladenwaffeln gefüttert und
eingeschlafen

24.sep

vormittags getrödelt gewaschen gekocht nachmittags am strand

25.sep

am strand

26.sep

ausflug nach caminha sehr gut gegessen gegrillter aal für fünf mark
achtzig zu fuß nach moledo do minho dort sehr gutes fleisch gekauft
zurück mit dem zug

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0732h

27.sep

kurz nach vila praia zug hin dreissig minuten später bus zurück
mittags sardinhas gebraten dann am strand

28.sep

regen dazwischen spaziergang auf den östlich von afife gelegenen
berg ein leeres haus in dreiviertel höhe in der mitte der bucht
nachts gekotzt

29.sep

mit dem zug von afife nach porto von porto taxi zum flugplatz
oporto - düsseldorf - bus nach hamburg

30.sep

früh fünf uhr zurück erntedanktag

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0732i

portugal ist ein land wo es einen treibt egal wohin es ist alles gut
vier wochen lang haben wir menschengesichter gesehen menschliche
menschengesichter die art wie uns auf der ebene bei miranda die augen
aufgegangen sind facettenweise so als gingen wir aller hundert schritte
durch eine andere gegend das 'friedliebende' der flußlandschaft am minho
am lima am douro arcos de val de vez romantisch rein wie ein junges
mädchen brav ist fromm ist der fluß vez mit den drei kirchen portugal
am rand europas kommentarlos realistisch weit hinausschauend versessen
auf erkenntnis der einzige betrunkene portugiese befand sich auf dem
rückflug nach düsseldorf alte dörfer mit ausnahmen nur noch im grundriss
vielleicht ist das meer später ein ort wohin unsereiner zurückkehrt
das 'muß' portugals bei dieser reise lag in unserem von uns geahnten
zustand lernen zu lernen die erkenntnis der liebe als poetische form
des lebens als selbstverständlichkeit und selbständigkeit

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0733

dezember vierundachtzig

sieht so aus
als vollende das zwanzigste jahrhundert
auf seine maschinell-technische weise
all die fragmente des neunzehnten

zb die verfilmung der oper
zb die veroperung des films

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0734

vierzehnter dezember vierundachtzig

mahler adagio zehnte symphonie

unmöglich das anzuhören ohne das mich die befürchtung befällt
daß jemandem etwas zugestoßen ist die phantasie des unglücks
läßt erst gegen schluß nach wo eine befriedigung über eine
geradezu kosmische loslösung einsetzen will das stück aber
'aufhört' ist das ein todeskampf ein sterben dieses adagio

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0735

januar fünfundachtzig

angefangen
die cassette haidnische alterthümer
durchzusehen

gelesen max beckmann vorlesungen

gesehen tv rekonstruktion der kandinskyinszenierung
zu musorgski bilder einer ausstellung

gesehen den film molière

gefunden grabspruch für einen dialektiker ca 1964

hier
liegt
er
tot
und widerspricht
nicht
mehr

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0736

elfter januar fünfundachtzig

die längste zeit im leben
ist man ein alter mann

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0737

achtundzwanzigster januar fünfundachtzig

im radio
aus den memoiren einer idealistin
von malwida von meißenbug

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0738

sechster februar fünfundachtzig

im fernsehen
'wege aus der ordnung'

...die nächsten sind dran offenbar werden die dichter und die fragen
solange produziert bis sich eine antwort erübrigt jedenfalls wie vor
fünfzehn jahren...das problem vakuole durch die hindurch man raus muß
der weg geht vom mittelpunkt in dem der mensch steht bis ins eigene herz usw
es scheint als gäbe die christliche und friedensbewegung dazu ein publikum
auch ist der abstand zu den 'gläubigen gläubigern' die uns vor der nase
saßen größer...aber auffallend kraftlose gedichte der fromme hat dort
keine chance...irgendwo aber auch erfreulich wie manches sich immer noch
hält diese seltsam aufgeräumten hinterhofzimmer mit den beiden fenstern
ohne gardinen die bücherwand die fürchterlichen fußböden die posen beim
vorlesen die zigarre die lederjacke der rotwein die atmosphäre etwa immer
noch hier bin ich dichter ich darfs nur nicht sein und dazu irgendwo
raffiniert beiseite auf seinen wohlbedachten auftritt wartend das eine
das immer eine eigentliche erste richtige gedicht mit unser aller
ureigenen devise ICH komme das WORT vor EUCH zu retten...
achja irgendwas hats...

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0739

märz fünfundachtzig

ausstellung frühe arbeiten boys

kunsthalle ein bild von runge der morgen
die figuren gemalt wie die abziehbilder von abziehbildern

cd friedrich frühschnee ein waldweg
aber wie augenschmerzend räumlich

ein bild mit dem titel helena von troja

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0740

achtzehnter märz fünfundachtzig

mädchen gibt es
die aussehen
als hätten sie
einen schnuller
im pfläumchen

mösen gibt es
die den ganzen tag
am daumen lutschen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0741

zwanzigster märz fünfundachtzig

frühlingsanfang

einer der tage
für die ich bereit wäre

stattdessen ein tag
an dem ich ein weltall
draufgehen lassen könnte

den ich aber in kauf nehmen muß
um die anderen einigermaßen zu überstehen

meine vorwarnzeit
wird immer kürzer

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0742

anfang mai fünfundachtzig

unser psychologisieren
wirkt wie ein barockes ornament
um die statuarische existenz

psychologo welch ein wort

psychologisieren
verziert die existenz

existologie welch ein wort

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0743

mai fünfundachtzig

urlaub yugoslawien

es gibt leute
die müßten sich
bei sich selbst
entschuldigen
daß sie auf der welt sind

die adria ist ein albernes und blödes meer
das über seinen wellen unablässig plätschert

ein plätscherndes meer
die gegend schön langweilig
der himmel nicht sehr hoch
die leute slawen
usw usw usw

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0744

mai bis mitte juni fünfundachtzig

ein film 'brazil'

viel zeit für theater
viel scheiße kA job

weiter in den haidnischen alterthümern gelesen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0745

neunundzwanzigster juni fünfundachtzig

film maria godard
wohltuend
ansehbare bilder
keine fotos od grafik

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0746

siebzehnter juli fünfundachtzig

widerwärtigkeiten
daß uns die spucke wegbleibt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0747

dreissigster juli fünfundachtzig

es regnet kreuz und quer

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0748

sechster august fünfundachtzig

mittags
italienisch
gegessen

nachmittags
stinkt
meine pisse
nach tintenfisch

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0749

achter august fünfundachtzig

wir feiern das fest
der erkenntnis

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0750a

sechzehnter august bis erster september fünfundachtzig

badeurlaub varadero
wasser fünfunddreissig
luft vierzig

rum zwanzig grad

lorca lesend
bei gliedlangen zigarren

abends steigen aus dem wolkenstrand
der weich im horizont schwimmt
senkrechte figuren auf und gruppieren sich
zu schattenhaften marionetten
in blau und rosarot und weiß

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0750b

ein panoptikum
von seeräubern gauklern harlekinen
fürsten mätressen känguruhs
giraffen schiffen fratzen pflanzen

ein himmelstheater
wallender steigender sich wandelnder fata morganen
ein karibischer wolkenkarneval
und atlantisches märchenpanorama

ein sexuelles und ein christuserlebnis

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0751

september fünfundachtzig

jetzt könnte ich die vierundzwanzig grobianischen
des kleinen carnevale machen

aber vom vierten bis sechsten september war ich
in schloß walchen bei vöcklermarkt im salzkammergut
wegen geldarbeit operette

ein merkwürdiges wort
für ein merkwürdiges museum

kinderweltmuseum

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0752

sechsundzwanzigster september fünfundachtzig

marylin monroe soll mindestens nembutal plus
chloralhydrat genommen bzw bekommen haben

das gegenteil von wahrheit ist ja nicht lüge
sondern mythos

ich würde am liebsten dasitzen und nur noch
an gott glauben

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0753

sechster oktober fünfundachtzig

noch ein schlafmittel
halcion 0,5

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0754

einunddreissigster oktober fünfundachtzig

ich fühle mich tod
meine seele ist im
arsch

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0755

ende fünfundachtzig

ein vierteljahr geschlampt und dabei wahrscheinlich
bis auf einen brauchbaren rest
meinen theaterkomplex abgeschminkt

den trug ich seit meinem zwölften lebensjahr
mit mir herum

einen band schäferromane des barock
anna wimschneider herbstmilch
lebenserinnerungen einer bäuerin
sylvester auf sylt laut vorgelesen

gebrauchsanleitung zum selbstmord
robinsonverlag frankfurt durchgesehen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0756

fünfter februar sechsundachtzig

spaziergang schnakenbek mit kA
die naturmusik des eiswogens

coramin anregungsmittel

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0757

wahrscheinlich märz sechsundachtzig

william kotzwinkle dr.ratte
per anhalter durch die galaxis zwei bände

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0758

april sechsundachtzig

zu meiner zeit
wird nicht
gedichtet

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0759

mai sechsundachtzig

frieden ist die fortsetzung des krieges
mit politischen mitteln

politik ist die fortsetzung des friedens
mit anderen mitteln

krieg ist die unterbrechung des friedens
mit gleichen mitteln

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0760

zwölfter mai sechsundachtzig

spatzen vögeln in der dachrinne
zu meiner zeit wurde dort gebadet

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0761

sechsundzwanzigster juni sechsundachtzig

der welt
zum glück
fehl ich
verrückt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0762

neunter juli sechsundachtzig

sich küssendes
gewölk

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0763

zehnter juli sechsundachtzig

kindergeschichten

die kuh und der pfau
die kuh und der adler

die wörter
kommen auf geschwollenen
füßen daher

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0764

fünfzehnter juli sechsundachtzig

bei den hummeln
ist das große
sterben ausgebrochen

im schrittabstand
liegen sie
die fußwege
entlang

neben hecken
unter bäumen
an gebüschen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0765

sechzehnter juli sechsundachtzig

etwas
beginnt mich
zu interessieren

was ich vorher
nie gedacht habe

das schöne


täglich erfrischt
von meiner
mit mir alternden
arbeit

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0766

siebzehnter juli sechsundachtzig

vor dem gewitter
sturm

pappeln
wie phalli

in den spermiengrauen himmel
starren

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0767a

vierter august bis erster september sechsundachtzig

urlaub norwegen

4.aug

hamburg bis slettestrand pension nØjgaarden bei slettestrand

5.aug

westlich von slettestrand zum meer nachmittag die küste entlang bis
blokhus am abend ums haus (die katzen)

6.aug

ganztags in östlicher richtung am strand leichte steilküste grün
abends zu einem fischerdorf östlich von slettestrand ankunft der
fischerboote

7.aug

früh nach norden eine kirche ein kloster eine klippe
der zusammenfluß von ost-und nordsee abends fähre frederikshafen
nach larvik

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0767b

8.aug

sieben uhr früh ankunft larvik auto die E18 und E68 entlang

abends übernachtung im hotel husum bei laerdal es riecht nach holz
wie wälder einmal nach holz gerochen haben könnten

9.aug

weiter bis revsnes und kaupanger und hella und dragsvik zweimal fähre
die "5" entlang bis haukedalen zur hütte

10.aug

spaziergang auf der straße durchs tal

11.aug

zum grönigsstölen

12.aug

ausgeruht

13.aug

nach förde und boyabreen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0767c

14.aug

zu den vaten und stölen oberhalb harklau

15.aug

ausgeruht

16./17.aug

pilze getrocknet marmelade gekocht holzlöffel geschnitzt

18.aug

nach florö

19.aug

ausgeruht

20.aug

erste fjellwanderung bei nystölen an der F5

21.aug

ausgeruht

22.aug

zweite fjellwanderung von den langestölen aus die zweite hälfte
des weges von der anderen seite

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0767d

23.aug

ans meer nach holevik

24.aug

den rörvik-weg zur fjellstube ausgeruht

25.aug

nach förder und nochmal gröningstölen

26.aug

ausgeruht

27.aug

wanderung auf den bergen gegenüber auf der anderen seite des wassers
das abenteuer mit den pferden

28.aug

autoausflug nach vadheim und sognefjord bis lavik

29.aug

boot gefahren

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0767e

30.aug

zurück von haukedalen bis larvik durchs hemsedal und F8
im auto übernachtet

31.aug

ganztags am meer östlich und westlich von larvik
stavern ula abends fähre

1.sep

von frederikshafen zurück bis hamburg



norwegen das von den göttern verlassene land

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0768

september sechsundachtzig

mystik ist der alte name für erfahrungen
die der mensch macht wenn er in seine seele sein inneres schaut
und auch das ist ein teil des ganzen

cf v weizsäcker

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0769

zwanzigster september sechsundachtzig

grenze bei witzeetze

ddr wiese wassergraben
worauf ein einzelner schwan

patrouilliert

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0770

einundzwanzigster september sechsundachtzig

geldarbeit

früh operette
tagsüber molière
abends tausendundeine nacht

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0771

dreiundzwanzigster september sechsundachtzig

selbstporträt
vor zwanzig jahren

kleiner schwanz
und
große schnauze

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0772

fünfundzwanzigster september sechsundachtzig

es folgt
das jahrtausend
der schlaflosigkeit

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0773

dritter november sechsundachtzig

kino
elektra

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0774a

vierundzwanzigster november sechsundachtzig

ich spüre
wie sich das letzte
häufchen wörter
aus meinem kopf
entfernt

ich spüre es
körperlich

jetzt
zu zweit
dann
zu dritt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0774b

ich spüre
jetzt bin ich
unausgesprochen
wortleer


catapressan blutdrucksenkend
kaliumchlorid in überdosis zum herzstillstand

das zusammen injiziert

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0775

einundzwanzigster märz bis fünfundzwanzigster märz siebenundachtzig

reise den haag
museen

amsterdam schlemmer
rotterdam bosch hochzeit zu kana
verlorener sohn
hl antonius

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0776

siebzehnter juni siebenundachtzig

es geht
nicht mehr

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0777

dreiundzwanzigster juni siebenundachtzig

ich bin
der geist

der nicht
erscheint

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0778a

dritter bis vierundzwanzigster juni siebenundachtzig

urlaub bayerischer wald

3.jul

hamburg rhön abstecher hofbiber günthers hotel ulsterbrücke spaziergang zur grenze

4.jul

autobahn bis amberg dann bis cham und ins zellertal
quartier in kieslau beim bauern geiger johann abends
spaziergang auf halber höhe

5.jul

zu fuß zur kötztinger höhe von dort zum waldschmidt-denkmal
über buchbergerpension zurück

6.jul

zum großen arber bayerisch eisenstein über lohberg lam
arneck zurück

7.jul

nach bodenmais ins silberbergwerk und die glashütte

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0778b

8.jul

vorm geldarbeit nachm richtung kötztinger hütte und kreuzfelsen
und das zellertal auf der südseite entlang

9.jul

höllenstein kraftwerk entlang dem schwarzen regen satellitenstation
gute kneipe auf der höhe vor kötzting neben der kirche

10.jul

arneck drachselsried bodenmais und zurück thalersdorf rundflug im
viersitzer abds in kieslau geräucherte forelle und fußball sv steinbühl

11.jul

kieslau oberhaiderberg neue unterkunft in der sonne gelegen

12.jul

spaziert zum zwercheck gelesen

13.jul

vorm geldarbeit nachm bayerisch eisenstein im bahnhof gesessen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0778c

14.jul

zum zwercheck auf der grenze entlang zum großen osser über
lohberg zurück

17.jul

vorm in frauenau nachm gelesen erst zeitungen dann hölderlin
und bier getrunken und bärwurz und wurst gegessen

18.jul

vorm bodenmais nachm primizfeier von herrn pater maurus willich
in lohberg anschließend biergarten anschließend fernseh

19.jul

zum lusen und zurück

20.jul

zum großen rachel und zurück

21.jul

zum großen falkenstein und zurück zwieselerwaldhaus gedenktafel
brecht als zwanzigjähriger 'als wanderer'

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0778d

22.jul

an der grenze entlang über den oberpfälzer wald bis nähe hof

23.jul

weiterfahrt nach berlin

24.jul

zurück hamburg

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0778e

kieslau
unterhaltung zweier kleiner mädchen

eins  woas isn dai lüblingsschpais
zwei  schpagheddi
eins  schpagheddi
zwei  schpagheddi polognese
eins  polonaise woas isn döas

in der pension buchberger hof gibt es eine wirtin mit einem für männer
nicht wahrnehmbaren körpergeruch auf welchen frauen gereizt aggressiv
lüstern reagieren

in bayerisch eisenstein gibt es im bahnhof ein restaurant renoviert doch
fast wie aus der alten zeit nein in der alten zeit bis zb auf die lampen
es wird von einem ehepaar betrieben schlicht und typisch für die gegend
ehemals im spatenbräu zu münchen nun nochmal die sache neu anfangend
nachdem sie schon in pension waren er ein koch sie eine quicklebendige
erzählerin das ganze besteht aus geschichten kochen erzählen und essen und alles in der poesie des leeren bahnhofs 'nach böhmen'...

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0778f

...die gleise mit sperren und draht verhauen mit bier und stille...
und sie haben einen gehilfen der wie ein dorftrottel aussieht mit zu
kurzen hosen scheitel klebriges haar eigentlich ein metzger (!) er gießt
die blumen und ist herzensdumm..

ansonsten

der trunkene phallos

die lachende ente

und berliner in bayern

'jrieß jhott'

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0779

neunundzwanzigster juli siebenundachtzig

welche über
schatten springen
die sie nicht
geworfen haben

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0780

erster august siebenundachtzig

mit kA an der elbe
zwischen landsatz und damnatz
nachmittags
plötzlich
flugzeuggeräusch
ein kleinerer düsenjet
ziemlich niedrig
fliegt die elbe entlang
biegt nach osten ab
überfliegt die grenze
verschwindet drüben

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0781a

zehnter august siebenundachtzig

das computerproblem
mit schnelleren schaltungen und komplizierteren bausteinen langsamer
und simpler als das gehirn arbeitend welches aus langsameren schaltungen
und simpleren bausteinen bestehend komplizierter und komplexer arbeitet
das einfache das schwer zu machen ist

c-p-symmetrie zwischen materie und antimaterie es gibt einen leichten
überhang von materie gegenüber der antimaterie weil nicht alle materie
beim zusammentreffen mit der antimaterie zusammen mit dieser vernichtet
wurde die antimaterie hat nicht'gereicht'...dieser überhang sind 'wir'
ist das materiell existierende im all

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0781b

b-meson anti-b-meson
die umwandlung des einen in das andere ist der schnellste bisher bekannte
physikalische prozess dabei entsteht für einen unvorstellbar kurzen zeitteil
das top-quark einhunderttausendmal schwerer als bisher vermutet deshalb nicht wie die fünf quarks vorher nachgewiesen mit entsprechend viel energie
behaftet mehr als in die versuchsapparatur eingegeben was kurzzeitig
möglich ist (heisenbergsche unschärferelation)

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0782

vierzehnter august siebenundachtzig

sie haben
wohl nicht
alle eier
im sack

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0783

siebzehnter august siebenundachtzig

heute ist ein tag
wo ich lust hätte
im lotto zu gewinnen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0784

erster september siebenundachtzig

ende
geldarbeit operette

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0785

vierzehnter september siebenundachtzig

staatsbesuch

der mauerne gast
aus der deutschkratschn replik

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0786

achtzehnter september siebenundachtzig

nichts geht über den unsinn
den ein mensch über den anderen erzählt
in gewisser weise vergleichen sich da
zeitereignisse personifiziert

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0787

achter oktober siebenundachtzig

theater
vertrag nicht verlängert

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0788a

oktober siebenundachtzig

amrum

erhabenheit
des unebenen

unebenheit
des erhabenen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0788b

na ja oder   talkshow

das ende der dramaturgie oder

na ja die welt bedeuten die paar bretter schon lange nicht mehr oder

na ja die lange weile des theaters oder

na ja das deutsche theater ist ein vermächtnistheater
es stellt nicht dar macht nicht mal nach es ahmt oder

na ja je weniger das theaterstück vorstellung
je mehr es vorstellung eines stückes
um so theaterer ist es oder

na ja theater die kunst des vormachens das theater macht vor
wie man sich etwas vormacht das macht es nach aller welt oder

na ja das theater kennt nur das präsens die gegenwart des spiels
die präsentation das gegenwärtigsein ist kein vorteil
die eingeschränkte zeitform ein nachteil oder

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0788c

na ja die gegenwärtigkeit des theaters hat ihren witz
aus der unwirklichkeit die wirklichkeit des theaters
sein reizvollster aberwitz sobald man ihn sich vergegenwärtigt
ist ganz witzlos oder

na ja das heutige am theater ist das sich aufführen
um alles heutige durch das aufführen zu vergleichnissen
vergangen und alt zu machen oder

na ja die romantische fantasie des theaters ist die
vergegenwärtigung des vorhandenen als gleichnis oder

na ja theatralisch ist die romantik inhaltliche renaissance
formal zu versuchen oder

na ja das theater kommt über die tatsächlichkeit nicht hinaus oder

na ja das theater der stücke rollen namen als das theater
des theaters oder

na ja das theater der richtigen menschen oder die ganze
gekünstelte leibhaftigkeit oder

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0788d

na ja das theater opfert nichts weder die zurschaugewogenheit
der schauspieler noch die schauspielerei des zuschauens oder

na ja das theater macht sich sein publikum eine kunsthaltung oder

na ja theater die kunstform des öffentlichen die kunst des sich
öffnens oder die kunst der eröffnung aber es gibt keine öffentlichkeit
außer der medialen oder

na ja das nichtsöffnende des theaters die proben probieren
das problem oder

na ja heutige existenz bezeichnet theater als künstliche umgebung oder

na ja theater die kunst wechselnden interesses des stückweise
gemeinsamen oder

na ja es fallen einem gegen das theater genausoviele gründe ein
wie gegen den staat oder

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0788e

na ja theater ist eine schwarzsumpfige trägrund sich wellende brühe
aus faulschlamm der gegen vergorenes schwappt sich immer mehr
eindickend oder

na ja theater macht dichter zu dramaturgen oder

na ja dramatiker ist wer den falschen feind hat

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0789

dritter november siebenundachtzig

worauf
man so kommt
ich
auf die welt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0790

sechsundzwanzigster november siebenundachtzig

durchsicht
§ 0/0

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0791a

sechster dezember siebenundachtzig

wien

stephansdom

das ungeheuere

heidentum

des katholischen

albertina

michelangelo

rückenakt

raumkugelnder körper teile

leonardo

petruskopf

madonna mit dem granatapfel

picasso

porträt einer frau

aus einer serie über das gleiche modell

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0791b

ausstellung

sparta sybaris

akademietheater

ferdinand raimund

der barometermacher auf der zauberinsel



da vinci madonna mit dem granatapfel
aus der ikonografischen reihe
eva paradies apfel sündenfall
entsteht
maria dem christusknaben einen granatapfel
-der viele kerne hat- zeigend
kind und apfel in gedanken betrachtend

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0792a

achter dezember bis fünfzehnter dezember siebenundachtzig

8.dez

stuttgart zürich istanbul ankara

9.dez

bus nach konya

10.dez

bus nach neveshire
die frühchristlichen höhlenkirchen und klöster
avanos keramik sonnenvase

11.dez

bus nach kaysery
museum flug istanbul

12.dez

sultanspalast blaue moschee blumenbasar

13.dez

prinzeninsel hagia sophia stadtbummel

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0792b

14.dez

grabstelle des fahnenträgers mohamed
chora-kirche basar

15.dez

archäologisches museum derwisch-zentrum
rückreise stuttgart

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0792c

stärkster architektonischer eindruck
hagia sophia
die blaue moschee etwas bös-spinnenartiges

landschaft am ehesten
zwischen neveshir und keysery

die türkei scheint auf den ersten blick nicht islamischer
als deutschland auf den zweiten christlich

mosaik und ornament gehen mir sehr schnell auf die nerven

musik
die von mevlana

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0793

elfter januar achtundachtzig

rubenssch'rosane
wolkenweiber

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0794

dritter februar bis siebenter februar achtundachtzig

ddr

keine sentimentalität
kein ressentiment

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0795

vierzehnter februar achtundachtzig

hausmusik
zum valentinstag

ich spielt auf deiner geige
so manches stück vom blatt
derweil in hohem bogen
du mich gefiedelt hast

du bliest auf meiner flöte
so manchen süßen marsch
derweil mit meinen griffen
ich dich zum trillern bracht

wir trommelten und pfiffen
wohl auf dem letzten loch
denn fröhlich klingt die weise
nicht nur im ohr uns noch

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0796

sechzehnter märz achtundachtzig

film
mein essen mit andrè
louis malle

ein vergnügen

offenbar ein 'platonischer dialog'

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0797

siebzehnter märz achtundachtzig

der schleier
des geldes
zerreisst

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0798

frühjahr achtundachtzig

eine alltäglich-menschliche tragödie

sitzend unterm baum der erkenntnis gott denkend reift der apfel
am baum der erkenntnis nährt seinen wurm der ihn verdirbt fällt
herunter erschlägt den darunter erschlagen von seiner erkenntnis

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0799a

fünfter april bis zweiter mai achtundachtzig

eolie

5.apr

hamburg münchen rom messina milazzo lipari

7.apr

pause

8.apr

pianoconte monte angelo

9.apr

pause

10.apr

vulcano zum krater

11.apr

schiff nach alicudi filicudi und zurück

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0799b

12.apr

monte rosa

13.apr

santa marina salina nachm lingua

14.apr

nach malfa vino di malfa malvasia

15.apr

baden und kochen am strand

16.apr

leuchtturm lingua

17.apr

am strand betrunken eine nacht mit geisteskranken geistern

18.apr

zweimal den weg zum monte fosse de felicie nicht gefunden
bus nach rinella schiff bis santa marina
abds kA akute bronchitis

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0799c

19.apr

kA im bett Th pollara (aussicht)

20.apr

Th museum lipari

21.apr

panarea nachm ausgrabungen

22.apr

zu den heißen quellen nachm gebadet

23.apr

pause

24.apr

regen und meer mittgs zur ebene über p.milazzese

25.apr

ganzen tag auf der ebene von p.milazzese
abds und nachts stromboli in tätigkeit

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0799d

26.apr

nach stromboli nachm bis nachts zum stromboli

27.apr

vorm baden nachm stromboli auf 2/3 höhe

28.apr

regen und langeweile

29.apr

vergammelt nachts schiff nach neapel

30.apr

neapel rom bologna bozen

1.mai

pause

2.mai

bozen münchen hamburg

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0799e

die andere sprache
wie ein kieselstein im mund

lipari
der himmel ist sehr hoch aber die sterne nicht weit
an einer kreuzung der milchstraße

mit dem erlahmen der touristischen energie beginnt die erholung

aus den rauchwolken des stromboli
bildet sich der nackte torso des pan  pan-area

vulkane
auf den ausbruch warten

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0800

april achtundachtzig

die erkenntnis der vergeblichkeit ist ja schon darum nicht vergeblich
da sie einem die erkenntnis vermittelt
daß alle vergeblichkeit teil der erkenntnis ist

diese auf den kopf gestellte dialektik
hat zumindest den nachteil linear zu sein
und räumlich zu scheinen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0801

mai achtundachtzig

die neue tiefe
die höhere mächtigkeit

eine kunstrichtung
ein begriff aus der mengenlehre

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0802

mai achtundachzig

orgasmus

himmelherrgott
mir reißt es fast
die beine weg

wie wenn im kopf
eine hülle platzt

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0803

achter mai achtundachtzig

eine elster vertreibt
laut schackernd
eine schwarze katze
von ihrem baum

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0804

achtzehnter mai achtundachtzig

himmelsbrüste
säugen
wolkenkinder

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0805

dreissigster mai achtundachtzig

seit dezember vorigen jahres gibt es einen apparat der im ansatz
so aussieht wie ich mir vor fünfzehn jahren meine 'schreib-maschine'
vorgestellt habe

mittlerweile hat sich mein schreiben so in richtung dieser vorstellung
bewegt daß ich das was dieser apparat kann bis auf wenige ausnahmen
schneller und besser tue weshalb ich auch mit der hand auf papier schreibe

für mechanische und korrekturarbeiten könnte ein solcher apparat brauchbar
werden ev auch für das speichern der arbeit auf disketten
vgl prospekt brother wp-1

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0806

fünfter juni achtundachtzig

der spießer
in mir
ist tot

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0807a

achter juni achtundachtzig

einen neuen lebenslauf verfaßt
Th & kA
der alte war noch von damals

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0807b

Th & kA

er geboren breslau neunzehnhundertzweiundvierzig skorpion
und sohn eines skorpions
einen dritten skorpion zu zeugen mißlingt was ihm inzwischen
verständlich erscheint
seit dem zehnten lebensjahr außer an dem berufswunsch
schriftsteller an sonst nichts festhaltend arbeitet er in den
darauffolgenden fünfunddreißig jahren die undialektisch
antimaterialistischen desystematiken des kommentarlosen realismus
und barbarocken kabarettismus zu einem hauchdünnen umriss aus
ergänzt sie aber der einsicht folgend daß die dichter die erde
verlassen haben durch ein politökonomisch angesetztes poetistisches
forschungsprogramm welches er der zerstörung durch die praxis halber
theoretische literatur nennt
ohne weiteres abzuwarten beginnt er am zweiten juli
neunzehnhundertachtundachtzig zu schreiben

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0807c

sie ein jahr älter leitet seit zweiundzwanzig jahren
die weibliche abteilung eines als paradiesprojekt bezeichneten
zweierversuchs der auf adam und eva zurückgeht und über dante
und beatrice abaelard und heloisa hölderlin und diotima ulrich
und agathe in andeutungen zu ihnen reicht weshalb beide eine
anonyme existenz am unteren rand des bürgerlichen bevorzugen

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0808

fünfzehnter juni achtundachtzig

glockenläuten und handramme
ein straßengeräusch

Thomas Körner: Fragment vom Buch  Fünfter Kasten    0809

dreiundzwanzigster juni achtundachtzig

zur überprüfung der tatsache vom fünften juni
nach west und ost berlin gereist
und sie bestätigt gefunden

derlei hält
mich von mir
nicht ab