Lange Nacht. Wunderliches Getöse. Wie aus ferner, ungeheurer Werkstatt. Eine winzige Blase, von innen heraus hell, rötliches Licht, wächst rasch an zu einem bühnengroßen Luftballon. Das Geräusch geht über in Kundgebungs- und Einstimmkeitsgeschrei. Der Ballon, von einer Riesensichel geritzt, zerplatzt. Eine kolossale graue Betonkugel wird sichtbar. Spiegelungen klatschen darüber hin. Man hört Waffengetümmel. Es erhellt sich. Reinster milchblauer Schimmer. Sanfteste Farben. Milder Abglanz. Schöne Strahlen. Anmutigstes Funkeln. Die Kugel wird durchsichtig. Eine Stimme ruft: „Nicht wahr, es ist hübsch...“ Ein machtvoller Hammerschlag zerschmettert die Kugel. Nur noch ihr Inneres ist sichtbar. Eine andere Stimme antwortet: „...wenn man ein Dichter ist!“
Das Innere der Kugel. Halb Friedhof, halb Palast. Dazu Krankenzimmer, Künstlerbude, Rumpelkammer. Nasses Mauerwerk. An den Wänden Eis. Wie in einer Tropfsteinhöhle. Auf dem Boden Abfall, Müll, Dreck aus Zeitungen, Büchern, Plakaten, Transparenten, Emblemen, Symbolen.
Die Fremde vom Hinterhof liegt auf der Krankentrage. Blutiges Laken. Schmutzige Wäsche. Ihr entblößter Schoß ist vereist. Wie Milch und Purpur zusammengeflossen ihre reizend zarten Glieder. Sie liegt in schönster Agonie. Erstarrt nach verzweifelter Masturbation.
Der Musterknabe vom Denkmalsockel, aus Bronze und voller Taubendreck, ist stark angeschlagen. Die Trümmer seines Monuments trägt er mit sich herum. Die Fremde vom Hinterhof und der Musterknabe vom Denkmalsockel reden mühsam miteinander, bis eine rote Fackel mit seidenen Flügeln herabschwebt. Mit Zärtlichkeit drückt die Fremde vom Hinterhof die Fackel an ihren himmlischen Busen. Das Licht wird brennender, das von der Fremden vom Hinterhof ausgeht. Kraft beseelt ihren Körper. Sie umarmt die Fackel, bis diese zwischen ihren gefrorenen Schenkeln erlischt.
Das Haustier hüllt die Fremde vom Hinterhof in eine Fahne, setzt ihr eine Schwesternhaube mit Lorbeerkranz auf und heftet ihr ein rotes Kreuz an die Brust. Der Versager kratzt den Taubenmist von dem Musterknaben vom Denkmalsockel, frischt seine Bronze auf und hängt ihm einen Rettungsring als Siegerkranz um den Hals.
Beifallsrauschen. Hochrufe. Marschtritte. Aus dem Staatswappen ertönt eine weihevoll-schräge Hymne. Ein prächtiger Goldbroiler entfaltet seine knusprigen Schwingen und singt eine Prophezeiung wie mit tausend Stimmen. Der Höhepunkt vom Volksfest tritt rückwärts auf, noch immer nach dorthin winkend, von wo er kommt. Sein Kopf ist ein gerahmtes Porträt mit Schutzhelm. Er trägt Zimmermannskluft. In seinem Hosenstall steckt eine Nelke. Er ist schwer betrunken. In seinem Gefolge der Mastclown mit seinen jungen Talenten und ein amputiertes Orakel.
Der Höhepunkt des Volksfestes küßt dem Musterknaben den Denkmalsockel. Das eine Buch von den zwei Seiten wird gebracht. Ehrfurchtsvoll lesen der Mastclown und seine jungen Talente zwischen den tiefsinnigen Zeichen. Das amputierte Orakel betrachtet sie genau.
Sanfte, aber tief bewegende Musik. Bei den Umstehenden Mienen und Gebärden
lebhaftester Teilnahme. Haustier und Versager arbeiten eifrig. Im Gange der Musik
bilden sie aus dem Müll der alten Weltanschauungen eine neue kunstvolle Figur.
Alles wechselt und verschlingt sich ineinander, trotz wunderlicher und harter
Gegensätze und Übergänge, bis das Ganze ein Thema bildet.
Der prächtige Goldbroiler spreizt sich über der sinnreichen Allegorie. Der
Höhepunkt des Volksfestes umarmt die Fremde vom Hinterhof. Der Musterknabe
vom Denkmalsockel schlägt sich an die ordengeschmückte Brust. Alle klatschen in
die Hände und lassen einander hochleben.
Lauter Funken. Zersplitterheller Klang.
Der Teil meines ideologischen Bewußtseins, der als Landschaft vorgeführt wird, heißt ,,Agonie der Utopie“. Diese Landschaft ist die Vakuole im Inneren der Weltanschauung. Die Anordnung des Bildes ist geschlossen kreisförmig. Es gibt drei Bestandteile meines ICH, die in ihrer gegenseitigen Wechselwirkung diese Agonie des Utopischen in kreisförmiger Geschlossenheit ergeben. Es sind der Geist, der Glaube und die Macht. Die drei Bestandteile sind personifiziert durch die kranke Krankenschwester, den verrosteten Veteran und den betrunkenen Brigadehelden.
Zuerst geklärt werden muß der Zusammenhang der vier verwendeten Begriffe Agonie, Utopie, Moral und Kreisförmigkeit. Die Annahme, es gebe eine Moral, ist schon utopisch. Einer solchen Utopie, daß es eine Moral gäbe, anzuhängen, ist bereits unmoralisch. Warum? Weil Utopie aller Moral nur VOLLENDUNG heißen kann. Die aber kann und darf es nicht geben, wenn Lebendigkeit sein soll. Das Lebendige ist das Unvollendete. Vollendung ist Agonie. Die utopische Annahme einer Moral, die Vollendung heißt, ist agonisch. Das heißt, alle Gegensätze sind beseitigt. Dies kann nur in der EINHEIT der Fall sein. Einheit gibt es nur in der Agonie. Wenn Moral Umgang mit und Gebrauch der Dinge ist, so ist Vollendung unmoralisch, denn damit sind Umgang und Gebrauch zu Ende. Es gibt also eine Vorstellung von der Moral, die deshalb utopisch ist, weil sie die Moral als vollendet annimmt. Dies ist das Ende der Moral und also unmoralisch. Die Utopie einer solchen vollendeten Moral setzt alles als Einheit, was als Gegensatz, also Lebendigkeit gegeben ist. Dies ist Agonie. Die Utopie der Moral als Vollendung in der Einheit ist Agonie des sich im Kreisdrehens.
Im ideologischen Bewußtsein streben die Begriffe Geist, Glaube und Macht, wenn sie aufeinanderpassen, immer diese agonische Vorstellung von der Vollendung in der Einheit an. Das ist die Utopie der Moral. Vollendung läßt sich nur glauben. Es ist die Utopie im Glauben. Einheit ist die Utopie der Macht. Freiheit ist die Utopie des Geistes. Agonie aller Utopie aber ist, Moral zu sein. Und Agonie ist die Moral daraus. Und Moral ist die Agonie daraus. Das ist die Moral des Bildes. Und es ist auch unmoralisch, von einer solchen Utopie, die einen lähmt, nicht lassen zu können. Das starre, gelähmte, agonische Beharren auf einer Utopie von der Moral ist unmoralisch. Das Unmoralische zeigt sich in der Agonie.
Als nächstes muß die Situation des Bildes geklärt werden. Weder die kranke Krankenschwester, noch der verrostete Veteran, noch der im Delirium vegetierende Brigadier lassen von ihrer Utopie ab. Sie beharren darauf. Auch wenn sie erstarren im Frost, verrotten als Müll und ohnmächtig im Suff umherschwanken. Sie bleiben dabei, daß es das Ende aller Erkenntnis der Poesie, das Ende aller Arbeit der Veteranen und die Harmonie aller Macht der Herrscher und die Einheit aus allem in Freiheit geben muß. Und das genau lähmt sie.
Die Poesie ist vereist, der Veteran verrostet und verrottet und der Brigadier befindet sich im Delirium. Aber immer noch lallen sie von der Vollendung und Einheit und Freiheit, ohne zu begreifen, daß genau das Festhalten an ihrer Utopie es ist, welche diese Agonie, also ihren bildlich dargestellten Zustand verursacht. Sie lassen nicht locker, geben es nicht auf, und als der geflügelte Stab zur Poesie fliegt, ist das für sie das erflehte magische Zeichen. Sie schöpft wieder Mut, in der Darstellung ihrer Utopie erst recht fortzufahren. Sie beginnt sich herzurichten. Und als sogar der Brigadier mit dem langersehnten Buch kommt, und der Veteran Glauben zu produzieren beginnt, steigern sie sich zu dritt in die Darstellung ihrer Utopie und also deren Errichtung in ihrem Bewußtsein hinein, um freilich zum Schluß wieder in ihrer Agonie zu versacken. Mehr, als was in ihrem Kopf passiert, geschieht nicht. Und das, was sie da aufrichten, zerfällt wie das letzte mal und alle die anderen mal vorher...
Das alles soll kreisförmig angeordnet sein, und zwar bis zu dem kompletten utopischen Gebilde, und dann abbrechen. Und es soll etwa folgende Stationen beschreiben: Agonie der Erwartung am Anfang. Von dort in die Euphorie der Verzweiflung. Dann weiter in die Panik der Begeisterung. Und von dort wieder zurück in die Agonie der Enttäuschung.
Es fängt also an mit der Agonie. Dann aber bauen sich Euphorie und Panik gleichzeitig und gegenseitig auf und münden wieder in der Agonie, die eine andere ist als die erste. Die Kreisförmigkeit ergibt sich daraus, daß immer eine Größe, zusammen mit einer anderen, gegen die dritte, oder allein gegen die beiden anderen argumentiert. Denn im ideologischen Bewußtsein treiben sich immer Geist, Glaube und Macht gegenseitig, verschieden gepaart, in die Agonie von der Vollendung in Einheit und Freiheit. Und der Versuch einer moralischen Ideologie führt in die Agonie, denn Ideologien sind Hervorbringungen der Unmoral.
Nun muß zu den einzelnen Phasen etwas gesagt werden. Die Figuren durchlaufen sie, allerdings nicht auf gleiche Weise und nicht zur gleichen Zeit.
Agonie der Erwartung
Hier muß man den Begriff des Punktes einführen, und zwar des Punktes, um den sich alles dreht, den Fixpunkt. Dieser Punkt gemäß unserer Utopie hieß Vollendung der Einheit in Freiheit. Diesen Punkt zu erwarten, macht agonisch. Wie Warten überhaupt agonisch macht, lähmt.
Dieser Vorgang ist ein allen ideologischen, also von außen herangetragenen künstlichen geistigen Umgebungen gemeinsamer. Gleichgültig, ob auf die Erlösung, den Messias oder die Weltrevolution gewartet wird. Diesem Punkt gegenüber wird alles bis zur Lähmung zurückgestellt und verdrängt. Man erwartet und läßt nicht davon ab.
Alles ist darauf gerichtet, diesen Punkt zu erleben. Möglichst nichts tun, nichts denken, was nichts mit diesem Punkt zu tun hat und alles vermeiden, was bei der Erreichung und Erwartung dieses Punktes hindern könnte. Es hindert schließlich alles und am besten wäre es, gar nicht auf der Welt zu sein, nicht zu leben, bis der Punkt erreicht ist. Und danach beginnt das große „Ab dann…“!
Um sich das Warten zu verkürzen und erträglich zu machen, findet der Ablauf dreier Mechanismen statt. Erst will man Gewissheit haben, daß man nicht umsonst wartet.
Man braucht also ständig Zeichen, Hinweise, Fingerzeige, daß es gleich soweit sein wird. Zur Not wieder besseres Wissen, so daß man auch bereit ist, die Vernunft, die klar sagt, da brauchst du auf nichts zu warten, zu verdammen. Ja, die Vernunft, die den gewissen und besagten Punkt beseitigt, weil sie räumlich denkt, hat in solchen Systemen oder Zuständen nichts zu suchen...
Diese Gewissheit erlangt man durch Zeichendeuterei, Beschwörungen. Dem Zufall wird Sinn beigemessen. Man sagt wahr, augurt, abergläubelt. Und „logischerweise“ baut man alles nach und nach zu einer Beweiskette zusammen, die man GLAUBEN nennt, und der möglichst geradenwegs zu dem Punkt führt, an den man glaubt, daß er eintritt.
Es gibt einen eng damit zusammenhängenden zweiten Mechanismus, der nur scheinbar im Widerspruch dazu steht, in Wirklichkeit aber den zuerst beschriebenen recht praktikabel macht. Das ist der Mechanismus der Reduzierung und Verkümmerung. Man läßt nur noch ein einmal geordnetes System von Begriffen und Erfahrungen gelten. Man weigert sich zu zweifeln und zu suchen und umzustürzen.
Nein, das einmal eingeredete, punktuelle ideologische Denkgebilde wird weder erweitert, noch kann oder darf es begrenzt werden. Vielmehr werden alle Tatsachen aus dem ersten Mechanismus nur benutzt, um im zweiten Mechanismus auf den Punkt gebracht zu werden. Alles wird sozusagen innerlich herunterdiskutiert und weggeschwindelt auf die gehabten Größen und deren Zusammenhang, also seine EINHEIT. Nur dadurch aber behält die Agonie die Macht über den Weiterwartenden. Alle Macht der Erkenntnis, der Erfahrung, des Wissens wird nur insoweit genutzt, als sie das eine System der Ohnmacht erhält...
Der dritte Mechanismus, der dazugehört, ist der Mechanismus der Zwanghaftigkeit, um nicht zu sagen Gesetzmäßigkeit. Alles läuft scheinbar ab, ohne daß man sich dagegen wehren kann. Viel eher neigt man dazu, sich der Sache immer wieder hinzugeben. (Die Formen des ideologischen Sadismus und Masochismus spielen dabei genauso eine Rolle wie die ideologische Selbstbefriedigung, Feigheit und Passivität.) Die Zwanghaftigkeit findet ihren Ausdruck im Phänomen der Kreisförmigkeit und also der WIEDERHOLUNG. Man hat jederzeit genug Zeichen auf Vorrat bei sich, die einen sagen lassen, daß es gleich soweit sein wird. Und wenn nicht, dann aber morgen, oder übermorgen. Und wenn nicht freitags, dann sobald als möglich, gewiss aber nächste Woche. Und so fast ewig fort. Und eben dabei werden die festen und die variablen Begriffe und Zeichen immer wieder gedreht, gewendet, wiederholt und zwanghaft gedeutet, damit sie immer das gleiche eine beweisen: Jetzt...jetzt...jetzt...
In der Feinstruktur kann man noch folgende Reaktionsweisen feststellen: Selbsterpressung, Erpressung und Bedrohung einer Außengröße (Gott), Notwehr, Selbstterror, Zynismus, Teilnahmslosigkeit, die Rolle des Versuchers. Aber das ist nicht auf die Agonie der Erwartung beschränkt. Es ist für den gesamten agonischen Vorgang zutreffend. Ebenso gilt das für gefasste Vorsätze, Scheinberuhigungen, absichtliches Einreden, Selbsttäuschungen, Selbstbetrug und zwanghafte Pedanterie.
Wichtig ist, daß diese Form der Agonie der Erwartung durch Untätigkeit im Äußerlichen gezeigt werden soll, durch winzige, sinnleere Handgriffe. Außerdem haben die drei Figuren diesen Zyklus der Agonie der Utopie schon länger und mehrfach durchgehechelt. Was natürlich Erschöpfung und Routine bewirkt hat. Es ist dies alles für sie weder neu noch zu Ende...
Die nächste Phase besteht aus zwei Teilen, aus sich und ihrem Gegenteil. Beide Teile können sich gleichzeitig und gegenseitig in einer einzigen Figur aufbauen. Oder gleichzeitig jeder als Pol in einer anderen Figur, als zwei Ergebnisse einer Ursache, welche die dritte Figur ist. Sie sollen hier heißen Panik der Begeisterung und Euphorie der Verzweiflung.
Panik der Begeisterung
Der scheinbare Widerspruch des Begriffspaares ist Absicht. Im Zusammenhang gesehen, ergeben beide Begriffe wieder Agonie.
Panik mag einen befallen. Begeisterung ebenfalls. Hier aber ist die Panik das, was den Befallenen nach dem Befall lähmt. Im Gegensatz zu der Begeisterung, die im anderen Fall vielleicht aktiviert, macht die panische Begeisterung passiv. Das Panisch Turbulent-Schreckhaft-Wild-Überraschende bremst die Begeisterung, also die Annahme, richtiger die gesteigerte Überzeugung, nun trete ein, worauf so lange gewartet wurde. Die Panik der Begeisterung bremst die Kopflosigkeit und Übereiltheit des Glückes ab. Der Erfolg ist eine Wirkung auf andere, die Zeitverkürzung zum Ergebnis hat.
Euphorie der Verzweiflung
Sie ist nach innen auf den Betroffenen gerichtet. Die Euphorie will nach außen, aber die Verzweiflung hält sie innen fest. Das führt insgesamt zu einer übersteigerten Aktivität. Man erduldet die sich selbst bereitete Lust des Schmerzes. Man zieht sie in die Länge, um durch diese Opferbereitschaft vielleicht das Blatt wenden zu können.
Man will von der Aussichtslosigkeit wieder zu der längst erwarteten Aussicht gelangen. In der Wirkung auf einen selbst ist das eine Zeitverlängerung, fast ein Zeitstillstand, welcher aber zusammen mit dem oben beschriebenen Mechanismus sich wieder ausgleicht. Am Ende war außer einem Bewußtseinsgewitter nichts passiert. Man ist von dem Punkt nicht losgekommen und hat sich im Kreis gedreht.
Läßt sich zu beiden Verrichtungsweisen noch Genaueres sagen? Robert Walser sagt sinngemäß, daß nur der erschrickt, der etwas befürchtet. Bekannt ist auch, daß gebissen wird, wer Angst vor Hunden hat. So ähnlich verursacht hier die Annahme, daß die ersehnte Utopie sich erfüllt hat, einen panischen Zustand. Man ist sehr aufgeregt. Man erschrickt, ist kopflos und lähmt die Begeisterung, die entstehen will, gerade weil das Erwartete nun Ereignis wird. Die Begeisterung, die nach außen will, panisch, wird gerade durch diese Panik, die sie verursacht, heruntergebremst bis zur Erstarrung im freudigen Schreck. Mehrfach kommt es zu einer falschen Gelassenheit, die ausbricht oder aus der versucht wird, wieder auszubrechen.
Jedenfalls aber verzweifelt an einer solchen, sich panisch fürchtenden Begeisterung fast jede Euphorie.
Denn das Panischste an der Begeisterung ist die Angst, etwas falsch zu machen oder durch Voreiligkeit zu verderben oder zu verraten. Und das zieht wieder Ungläubigkeit und Hemmung nach sich. Vor allem aber erneute Spekulation darüber, was richtig sein könnte.
Im äußersten Fall halten sich im Zustand panischer Begeisterung beide Elemente die Waage, so daß man von einer Art schizophrener Teilnahmslosigkeit oder implosiven Sachlichkeit oder Eisigkeit reden könnte.
Die Panik der Begeisterung beschäftigt sich immer sofort und gleichzeitig mit ihrer Kehrseite, der Euphorie der Verzweiflung. Sie spekuliert auf das Vorsichtigste vom Schlimmsten zum Besten, welche Ereignisse und Gedanken das Erwartete eintreten ließen oder verhindert haben. Sie erwägt alles, klug hin und dumm her, um nichts zu gefährden, in kleinen Schrittchen oder in wilden Sprüngen, je nach Veranlagung der Figur, nur nicht an der Vernunft ausgerichtet. Dazu sind die Figuren auf Grund ihrer ideologischen Borniertheit nicht in der Lage. Sondern die durch die Ideologie vorgegebenen Aspekte werden gerade in ihrer Kombinatorik begrenzt, denn jede Variante, die das ideologische Muster verläßt, streift bereits die Vernunft. Euphorie der Verzweiflung meint auch wörtlich das Hineinsteigern in die Verzweiflung. Das beginnt mit einem einfachen Zweifel, der genährt und eben auf euphorische Art und Weise aufgebläht wird, bis zu der felsenfesten Überzeugung, das alles schief und schlecht ausgehen muß. Eben ein am Zweifeln Verzweifeln!
Agonie der Enttäuschung
In gewissem Sinn das Gegenstück zur Agonie der Erwartung, ist sie die Leblosigkeit, die einen befällt, wenn man, von langem Warten erschöpft, merkt, daß man sich insgesamt umsonst aufgeregt hat. Da ist man dann mutlos, emotionslos, irgendwie schrumpft man plötzlich in sich zusammen. Innerlich und auch äußerlich erhalten alle Dinge und Probleme ein reales oder normales Maß. Man sitzt sich ernüchtert gegenüber. Und dieser Ernüchterungseffekt kann fast ein Schock sein. Die Situation ist vielleicht sogar etwas schizophren. Man ist verpflichtungslos und rechtlos sich selbst gegenüber, und man verspürt eine Art teilnahmsloser Gelangweiltheit, in der sich die Leblosigkeit äußert. Genau in diesem Medium aber kehren allmählich die Begriffe zurück, die Fragen und Hoffnungen. Man gleitet aus der Agonie dieser Nicht- oder Unerfülltheit, die auch Trostlosigkeit oder Hoffnungslosigkeit heißen könnte, über Zustände, welche das Nihilistische, das Galgenhumorene der Euphorie der Verzweiflung ebenso kurz rekapitulieren, wie auch die Panik der Begeisterung, langsam wieder hinüber in die Agonie einer neuen Erwartung. Dies macht die Kreisförmigkeit des Ablaufs verständlich.
Und um es zusammenfassend noch einmal zu sagen: Panik der Begeisterung ist ein Zustand, in dem man sich kaum traut zu denken, was passiert, weil der Schreck so groß ist, und auch die Angst, man könnte das freudige Ereignis durch das Nachdenken darüber schon wieder vertreiben. Panik verkneift sich auch Phantasie. Die Phantasie setzt dafür bei der Euphorie der Verzweiflung als ausmalendes Hineinsteigern umso heftiger ein. Panik und Euphorie verhalten sich zueinander etwa wie hoffendes Fürchten und schreckhaftes Harren.
In der Agonie der Nichterfüllung oder Enttäuschung ist auch die Nostalgie nach der idealen Statik einer nichttraumatischen Zeit enthalten. Auf der Suche nach einer gesunden geistigen Umgebung in der Vergangenheit schlittert man dann langsam wieder in die Agonie einer neuen Erwartung hinein. Einsicht, die die Geschlossenheit des kreis- oder kugelförmigen Weltbildes durchbrechen könnte, und damit die Romantik und das Trauma, stellt sich nicht ein. Werte und Weltbild bleiben geschlossen. Die Erkenntnis des Auswegs wird nicht gefunden. Deshalb geht das Trauma weiter...