Leerer Bildschirm. Es beginnt zu flimmern und zu rauschen. Stimmen von unten rufen fragend: „Wo sind wir?“ Stimmen von oben, gewaltig dröhnend, antworten: „Hier!“
Der Gipsabdruck einer grauingrau verpackten Welt wird sichtbar. Beifallsgeräusche fließen ab. Der Mastclown und seine beiden jungen Talente erscheinen in der Herrlichkeit ihrer Natur.
Mannigfaltigkeit und Reichtum ihrer Kostüme und Masken übertreffen alle Beschreibungen. Sie umarmen sich, weinen sanfte Tränen der Freude und werden nicht satt, einander zu bestaunen.
Dann gibt der Mastclown die Erlaubnis, ein Schauspiel zu veranstalten. Die Szenen verwandeln sich unaufhörlich und fließen endlich in eine große geheimnisvolle Vorstellung zusammen.
Aus der Dunkelheit, über alle Veränderungen von Blau, und frischem lachendem Grün, entsteht in glücklichster Mischung ein Farbfernsehbild.
Unter stürmischem Beifall und von Hochrufen begleitet, erklärt der Tagungsleiter den Großparteitag für eröffnet.
Das Bild wird schwarzweiß. Kinder, schön wie Neubauten, in endlosem Zug, ihre Ideale an Stricken hinter sich herschleppend. Die Glocken des Ich läuten das homozentrische Zeitalter ein.
Das Bild wird farbig. Der Tagungsleiter begrüßt die Delegationen aller Länder der Erde. Freundschaftsrufe erschallen.
Das Bild wird schwarzweiß. Ein junger Pionier verirrt sich in einer Hügellandschaft mütterlicher Brüste und labt sich an der schwarzen Milch der Ideologie.
Das Bild wird farbig. Der Großparteitag konstituiert sich und wählt unter lebhaftem, lang anhaltendem Beifall sein Präsidium.
Das Bild wird schwarzweiß. Die Jugendfreundin mit dem Pferdeschwanz steigt aus dem Strahlenbild der aufgehenden Sonne eines FDJ-Abzeichens.
Das Bild wird farbig. Der Vorsitzende und Erste Sekretär hat dem Großparteitag seinen Bericht erstattet und winkt institutionalisiert. Sprechchöre ertönen.
Das Bild wird schwarzweiß. Das Denkmal des Helden der Arbeit mit heraushängender Zunge. Sein Marxkopf rollt hin, zwei halb so große zurück, bis unzählige kleine ihn verdecken.
Das Bild wird farbig. Die Ideologie, unverkleidet, tanzt und pfeift auf dem Kopfhaufen zur Internationale. Eine gewaltige Stimme ruft.
Das Bild wird schwarzweiß. Der Großparteitag empfängt den Funkspruch einer Orbitalstation.
Das Bild wird farbig. Der Hervorragende Kämpfer mit der MP reißt sich das Herz aus der Brust. Das nackte Weib setzt ihm den Verdienten Orden der Geschichte ein.
Das Bild wird schwarzweiß. Der Großparteitag ist in die Diskussion eingetreten. Der Ewige Genosse hat das Wort ergriffen. Gräßlich schlägt die Uhr Neuer Zeit.
Das Bild wird farbig. Während eine Fahne schräg wie ein Fallbeil herabfällt, steigt das ideologische Kämpferpaar an einem sich öffnenden Fallschirm empor. Die Delegierten des Großparteitages erheben sich von ihren Plätzen und grüßen ganz herzlich hinauf. Glühende Sehnsucht und ungestüme Zärtlichkeit befällt sie alle.
Der Vorzeigearbeiter mit dem Hammer und die Vorspannbäuerin mit der Sichel drehen sich mosfilmverklärt. Glänzender Pas de Deux. Sie fließen zusammen, in süßer Musik, beugen sich, lilienblattgleich, über den Kelch einer wunderschönen Blume. Im Kelch liegt ein Knabe, über ein schlummerndes Mädchen gebeugt. Eine kleinere Blüte schließt sich um beide, daß sie von den Hüften an in eine Blume verwandelt sind. In einem Strom milchblauen Flutlichts endet sich das Schauspiel.
Geschichte besteht, ideologisch-traumatisch gesehen, aus einer Anzahl von Dogmen im Zustand des Deliriums, welches dadurch bewirkt wird, daß ein künstliches Medium das Bewußtsein beeinflußt. Die Künstlichkeit dieser Beeinflussung ist dialektisch-zweigeteilt: einmal durch die Mastclowns - das sind die politischen Programme; zum anderen durch die jungen Talente - das sind jene, die Show veranstaltenden und gestaltenden Akteure und Ereignisse.
Das Dogma der Mastclowns führt zum Machttheater der Revolution, und das Dogma der jungen Talente führt zur Herstellung des neuen Menschen in der INLET-Maschine. Die dialektische Zweiteilung führt zu einem quadratischen Geschehen zwischen Oben, Unten, Links und Rechts. Die beiden politischen Programme, als erstes und zweites Fernsehprogramm, in Schwarzweiß und Farbe, laufen einander entgegengesetzt ab. Während das Parteitagsprogramm des Machttheaters von oben nach unten abläuft, steigt das Unterhaltungsprogramm der INLET-Maschine bei der Herstellung des neuen Menschen von unten aufwärts.
Dieser Magie der Programme im Auf und Ab entspricht die Manie der Akteure, ihr Hin und Her zwischen den Programmen, um in der Waagerechten eine Verbindung herzustellen. Sind beide Programme voll erfüllt, und sind alle Akteure restlos veranstaltet worden, erfolgt die Deckung des Machttheaters mit der INLET-Maschine. Revolution und neuer Mensch werden Eins in der Blauen Blume. Danach stürzt das Bild ein, und wird von einem anderen Großbild der Einheit von Ordnung und Mensch, nämlich dem Staat, ersetzt.
Magie der Programme
Alle programmatischen Entwürfe haben etwas Berauschendes für das Bewußtsein. Und für den traumatischen Geist etwas Anziehendes, ihn Fesselndes und ihn in Bann Ziehendes. Es ist die Sogwirkung aller Entwürfe und auch Umwürfe oder Umstürze. Und das Programm, um das es hier geht, ist das Programm einer Umwälzung oder Revolution. Es gibt auch eine Magie der Revolte.
Dieser merkwürdige Widerspruch in allen Ideologien, wo die Umwälzung tagesordnungspunktweise vorangeht, soll dargestellt werden. Die Perversion aller Planbarkeit, die selbst die Begeisterung noch zum Programmpunkt erklärt. Denn die Revolution ist hier nicht Aktion, sondern Funktion. Sie wird veranstaltet von delirierenden Funktionarren.
Annähernd gleiches gilt für das Unterhaltungsprogramm. Einen neuen Menschen zu machen, wie überhaupt das Menschenmachen, kann schon unterhaltend sein. Hier wird es merkwürdig, weil das Unterhaltungsprogramm parallel und simultan zum Revolutionsprogramm abläuft. Kunstvoll ihm widersprechend, ist es mit ihm verbunden, sowohl in der Ausschließung als auch in der Entgegensetzung.
Während das Revolutionsprogramm durchaus die mediale Verballhornung all dieser Revolutionsprogramme auf den Parteitagen unseres Bewußtseins sein soll, diesen Ritualen des kämpferisch-schöpferischen Planens, soll das Wirken der INLET-Maschine den neuen, den homunculus socialisticus hervorbringen. Und dies durchaus mit medialen Effekten. Das Ideologische ist obszön.
Der Zustand aber, in dem die figurativen Erscheinungen, also der Mastclown und seine beiden jungen Talente, zwischen den beiden unerbittlich barbarock-kabarettistischen Programmen wie die Puppen hin und hertanzen, ist durchaus ein manischer...
Manie der Akteure
Das ist der rauschähnliche Ausbruch eines Bewußtseins, welches, wie eine angeleierte Juxmaschine, dreißigeinhalb Weltanschauungen aus dem Ärmel schüttelt, auf Zuruf, versteht sich, um, von einem saturnalischen Durchhaltetrieb aufgeputscht, den Nonsens möglichst vollkommen und perfekt in seiner kaleidoskopischen und facettenhaft alles miteinander verbindenden, himmlischen Unlogik zur verwirrenden Einfalt zu bringen, bis jedem aus Erschöpfung alles klar, das Gefühl der Zufriedenheit wie Speck glänzt, und die Innerlichkeit wie Bier schäumt... Der Grips ist angeheizt, die Phantasie steht unter Volldampf, der Intellekt bezieht seinen Druck aus hundertachtzehn Rohren, das Gift sitzt so locker in der Galle, wie der Champagner in der Flasche, und die an Kleingeld arm sind, sind an Witz so reich. Und zu sprechen, ist Wort für Wort ein Sprachfick. Und jede Sentenz, die zum Fenster der Ausgelassenheit herausgeschmissen wird, fliegt, auf immer vergessen und ewig unnotiert, davon. Man hat das nämlich alles im Blut, und im Herzen. Wer es nicht begreift, ist ein altes bürgerliches Stockfischhuhn... Wichtig allerdings, man braucht dazu Publikum mit Antenne. Und zwar beifälligbegeistertes, welches den Mastclown und seine beiden jungen Talente auch „anzumachen“ versteht...